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An Josephine O'Donell

Wie ich immer gefunden habe, verehrte Freundinn, so läßt sich eine Badezeit mit dem Leben überhaupt vergleichen. Man kommt, als Neuling, mit allerley Hoffnungen und Forderungen an, manches bleibt unerfüllt, anderes erfüllt sich über alle Erwartung, manches unerwartete Gute und Böse ereignet sich und zuletzt tritt man ungern ab, ohne gerade wieder von vorn anfangen zu wollen.

Diese allgemeinen immer wiederkehrenden Betrachtungen hatte ich auch Ursach dieses Jahr anzustellen. Mein erster Wunsch war Ruhe, die ich denn auch hier gefunden habe, dann hätt' ich gern im Stillen thätig seyn mögen, meinen Freunden und mir selbst zu Liebe. Dieses ist mir auch bis auf einen gewissen Grad gelungen, aber ein kranker Gefährte und lahmes Fuhrwerk haben mich mehrere Wochen gestört, gehindert und aufgehalten.

Durchl. Herzogs Ankunft gab meinem stockenden Zustande eine neue Bewegung und es ist mir durch diese erfreuende und aufregende Gegenwart abermals viel Gutes geworden, ohne daß ich von meiner Seite sonderliches hätte erwidern können.

Die Nähe des Fürstlich Lichtensteinischen Paares in Bilin war mir nicht weniger höchsterfreundlich, ich verlebte dort manche gute Stunde und veranlaßt auch[425] einmal wieder durch Vorlesung gewisse verklungene herzlich poetische Scenen zu erneuern, ja mir selbst zur Verwunderung hervorzurufen, ward ich diesem verehrten Paare doppelt Dank schuldig; denn seit vorigem Jahr war dieser und ähnlicher Klang verstummt und verschwunden.

Durchl. Herzog sind im Begriff nach Franzenbrunn abzureisen. Ich werde diesen Beyspiel aber nicht auf demselben Wege folgen; denn ich gedenke nach Dresden zu gehen und von da wieder nach Hause zurückzukehren, nachdem ich meinen diesjährigen Sommer-Lebens Curs von Freud und Leid mit manchem Unterricht und neuem Erwerb und Verlust durchzogen habe.

Kann ich hoffen, daß das knädige und allergnädigste Andenken mir eben so beharrlich zu Theil wird, als die Sonne, die noch alle Morgen, wenn sie aufgeht, mir in's Zimmer scheint, so habe ich weiter nichts zu wünschen. Im Glauben halt' ich mich daran, doch würde ein sichtbares Zeichen, das mich balde zu Hause aufsuchte, sehr wohlthätig seyn. Und so wünschte ich mich für immer empfohlen zu wissen. Und so endigend wie ich angefangen habe bekenne ich mich als den aufrichtigst angehörigen

Töplitz den 5. August 1813.

J. W. v. Goethe.


Und so kommt es endlich doch auch wieder dazu daß ich, nach sechszehn Wochen, mancher guten und[426] bösen Tage Genoß von hier abziehe, ungewiß ob ich zu Hause mit verehrten und geliebten Personen zusammentreffe. Lasse Sie uns und das Beste hoffen und erhalten mir ein freundliches Andenken in Ihrem seinen Herzen, und ein gnädiges, da wo ich immer empfohlen bleiben mögte. Tepliz d. 6. Aug. 1813.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Josephine O'Donell. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8F9A-2