10/2996.

An Friedrich Heinrich Jacobi

Schon zweymal habe ich dir aus dem Lager geschrieben d. 5. und d. 7. Juni und noch keine Antwort von dir erhalten daran mir gelegen wäre. Bey uns geht es von der einen Seite lustig von der andern traurig zu, wir stellen eine wahre Haupt und Staatsacktion vor, worin ich den Jaques (s. Schäckesp. wie es euch gefällt oder die Freundinnen) nach meiner Art und Weise representire. Im Vordergrunde hübsche Weiber und Weinkrüge und hinten Flammen, grade wie Loth mit seinen Töchtern vorgestellt wird.

[87] Hier sende ich einen Bürgergeneral. Das Stück thut wie ich höre gute Wirckung. Es ist mir lieb daß ich mich nicht verrechnet habe. Ich arbeite fleißig in aestheticis, moralibus und physicis und würde auch in historicis etwas thun, wenn dieß nicht das undanckbarste und gefährlichste Fach wäre. Lebe wohl grüße die deinen, behaltet mich lieb.

Lager bey Marienborn d. 7. Jul. 93.

G.


Dein Brief kommt an eben da dieses Blatt abgehen soll und ich füge noch einige Worte hinzu. Hättest du dich entschlossen hierher zu kommen, es würde dich nicht gereut haben, es ist ein höchst merckwürdiger Moment. Wenn Mama auch nach meiner treuen Relation das geschehene nicht begreifen kann, so gereicht es ihr zur Ehre, denn es beweißt daß sie ihre Vernunft nicht unter den historischen Glauben gefangen geben will. Ich hatte die ersten Tage meines Hierseyns manches aufzuzeichnen angefangen, ich hörte aber bald auf; meine natürliche Faulheit fand gar manche Entschuldigung. Es gehört dazu mehr Commerage und Kannegieserey als ich aufbringen kann und was ists zu letzt? alles was man weiß und grade das worauf alles ankommt darf man nicht sagen und da bleibts immer eine Art Advocaten Arbeit die sehr gut bezahlt werden müßte wenn man sie mit einigem Humor unternehmen sollte. Noch widersteht Maynz was es kann, die Belagerung wird [88] mit großer Heftigkeit fortgesetzt und im Ganzen mit viel Glück. Wenn man nicht gegenwärtig ist so begreift man nicht daß die ungeheuren Anstalten gegen den Zweck gehalten noch nicht proportionirt sind. Diese Disproportion der Mittel und ein Mangel an Einheit bringen die Phänomene hervor an denen Mama sich ärgert. Davon wird sich reden lassen, es ist nichts fürs Papier. Wie gern käme ich wieder zu euch! Neulich waren wir biß Bingen gefahren und stiegen an einem schönen Abend bey dem Mäuse Thurn ans Land. Ich sah dem Fluß nach der zwischen die duncklen Berge sich hineindrängt und wünschte mit ihm zu euch zu gehen. Wenn nach dem billigen Wunsch der Königinn Ester alles anders wäre, so möchte ich auch wohl schon wieder in dem belaubten Pempelfort spazieren. Eigentlich sollte ich Schlossern besuchen, ich fürchte mich aber davor. Seine eine Tochter ist tödlich kranck und es wäre mir entsetzlich meine Schwester zum zweyten mal sterben zu sehen. Meine Mutter hat mir Briefe von dem Kinde gezeigt die höchst rührend sind.

Es ist mir lieb daß Max auch in meiner Abwesenheit sich zu den meinigen hält. Auf der kleinen Insel des festen Landes die sie bewohnen ist er gern gesehen und gut aufgehoben. Mein Knabe ist ein glückliches Wesen, ich wünsche daß er mit seinen schönen Augen viel schönes und gutes in der Welt sehen möge. Georgen wünsche ich Glück zur Liebschaft,[89] laß ihn bald heirathen so ist für seine Erziehung gesorgt, wenn er einige Anlage hat vernünftig zu werden.

Deinen Engländer wenn er kommt will ich gut empfangen, wir haben viele Fremde hier. Für die Gefangenen etwas zu thun wird schwer halten, sie sind dem Churfürsten übergeben und überlassen. Über die Wedekind ist indessen nur Eine Stimme.

Auch deine Empfehlung der Rheinberg werde ich schwerlich honoriren können. Dieß Fach ist gewissermassen schon besetzt. Und dann haben wir Beck der in Maynz war bey unsrer Gesellschaft, er ist beliebt und wünscht seine Frau, die sich gegenwärtig in Mannheim aufhält, bey uns angestellt zu sehen.

Dieser müßte ich auf alle Fälle den Vorzug geben.

Von Lavaters Zug nach Norden habe ich gehört, auch daß er den Philosophen des Tags unterwegs gehuldigt hat. Dafür werden sie ihm ja auch gelegentlich die Wunder durch eine Hinterthüre in die Wohnung des Menschenverstandes wieder hereinlassen, werden fortfahren ihren mit vieler Mühe gesäuberten Mantel, mit dem Saume wenigstens, im Quarcke des radikalen Übels schleifen zu lassen. Er versteht sein Handwerck und weiß mit wem er sich zu alliiren hat. Übrigens ist, wie bekannt, alles erlaubt, damit der Nahme des Herrn verherrlicht werde. Er hat auch in Weimar spionirt, unser entschiedenes Heidenthum hat ihn aber so wie das allgemeine Mißtrauen bald verscheucht.

[90] Von der Prinzess Callizin habe ich nichts gehört. Ich schreibe ihr nächstens. Grüße Dohms ja vielmal und alles was dich umgiebt.

Den Bürgergeneral habe ich vor meiner Abreise in Weimar spielen lassen, er nimmt sich sehr gut aus. Es freut mich daß er bey dir die Probe hält. Die Spritze ist schon in Franckfurt, vielleicht schon von da abgegangen. Vom kalten stürmischen Wetter haben wir viel gelitten. Sage mir nur bald daß du wieder wohl bist. Ich befinde mich sehr wohl und bin fleißig.

Deinen Brief an den Herzog habe ich noch nicht gesehen, es wird ihn gefreut haben. Denn er schien verdrießlich daß du nicht geantwortet hattest als er dir zum ersten Gesang Reinickens ein Wort schrieb. Lebe recht wohl. Grüße alles.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1793. An Friedrich Heinrich Jacobi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8F9C-D