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An Johann Heinrich Meyer

Sie erhalten hiebey, mein theurer Freund, eine Silhouette des neu acquirirten Moses, die, obgleich etwas roh, Ihrem Seherblick auf einmal mehr eröffnen wird, als vieler meiner Worte thun könnten. Ihre Vermuthung ist bey mir zur Gewißheit worden. Die Nachbildung deutet auf einen großen Respect fürs Original und zugleich auf die Absicht, die Copie zu einem selbstständigen Werke zu machen. Dem Künstler derselben hat es nicht an Sinn und Gefühl für die Großheit des Marmorbildes gefehlt; aber mich dünkt es ist schon eine gewisse Eleganz einer späteren Zeit bemerkbar, besonders an den nackten Armen, welche jedoch sehr wohl verstanden sind. Die nackten Theile sind mit Einfalt und Wahrheit gebildet, aber unglaublich ist die Ausführung der übringen: Haare, Bart, Nägel, die dacische Strumpfhose des rechten Fußes mit ihren Manschetten, der schwere wollene Mantel; an jener sind die Maschen, an diesem das wollene Gewirke mit großem Geschmack und Gehörigkeit ausgeführt. Es fielen mir dabey die gewissen Eischen des Cellini ein; denn man sieht deutlich, daß sie sich verschiedene Instrumente zugerichtet haben, um schon durch die Form derselben ihre Zwecke zu erreichen. Wenn diese nun durch eine geschickte Hand geführt und durch einen geistreichen [59] Hammer begünstigt worden, so begreift man, daß die Effecte hervorbringen konnten, die man sonst nur dem Pinsel zutraut.

Die Badegäste verlieren sich nach und nach, indem ich mich wieder auf's neue einrichte. Ich bedarf aber wirklich der Ruhe und Einsamkeit; theils um mich physisch wieder herzustellen, theils um dasjenige zu leisten, wozu ich mich bis Michael, so große Unterbrechungen nicht ahndend, engagirt habe. Wir wollen für körperliche und geistige Diät die beste Begünstigung hoffen.

Ich freue mich gar sehr das silberne Marienbildchen zu sehen, und bin zum voraus dankbar, wenn Sie es mir ablassen wollen.

Empfehlen Sie mich Ihro Hoheit auf das angelegentlichste. Der Erbprinz ist gestern Abend hier angekommen. Es gefällt ihm ganz wohl hier und er gedenkt, sich etwa fünf Tage aufzuhalten und alsdann über Prag nach Töplitz wieder zurückzugehen.

Ich wünsche daß Sie gute Wirkung der Brunnencur empfinden mögen, so wie ich wohl wünschte, daß wir noch Nachbarn wären. Nun hätte man gerade rechte Zeit und Gelegenheit zu wechselseitigen Mittheilungen.

Lassen Sie Sich unsere Ausstellungen bestens empfohlen seyn, denn die Kunst muß auch in diesen Zeiten fortgesetzt werden, wenn man gleich nicht mehr weiß warum und wozu. Von Dresden hört man nur Jammerklagen. Kügelgen bewirbt sich um die [60] Leipziger Directorstelle; er gehört jetzt leider unter die große Masse Menschen, deren ganze Existenz auf dem Spiele steht.

Soviel für dießmal in Hoffnung einer leidlichen Witterung für den Herbst, da uns der Sommer ganz um sich selbst betrogen hat.

Herzlich ergeben.

Carlsbad den 14. August 1812.

G.


Eine Bitte noch! Entschuldigen Sie mich bey Herrn v. St. Aignan daß ich auf seinen Brief nicht geantwortet. Mit französchen Briefen hab ich ein eigen Schicksal. Der den ich mit gegenwärtiger Gelegenheit abschicken wollte ist verunglückt und die Zeit reicht nicht hin ihn umzuschreiben.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8FD6-9