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An Johann Kaspar Lavater

Genf den 2. 9br. 1779.

Eh ich von hier weggehe noch einige Worte lieber Bruder eh wir uns tiefer in die Gebürge verlieren [114] in die wir unter Garantie des Herrn de Saussure einen Versuch wagen, von hier aus gehts in die Savoiischen Eisgebürge und ins Wallis.

Deine Offenbarung hat mir viel Vergnügen gemacht. Ich habe sie recht und vieles davon mehr als einmal gelesen. Schon da Tobler mir sagte du habest darüber von Amts wegen gepredigt, gabs mir ein ganz neues Interesse, denn ich konnte nunmehr begreiffen, wie du mit diesem Buche so lange beschäftigt, du es ganz in dich hinüber empfunden hast und es in einem so fremden Vehiculo ohne fremden, vielmehr eigentlich heterogenen Zusaz wieder aus dir herausquellen lassen konntest, denn nach meiner Empfindung macht deine Ausmahlung keinen andern Eindruk als die Original Skize macht, wenigstens einer Seele aus diesem Jahrhundert, wo man die Ideen die du hineinlegst selbst von Kindheit an gröstentheils hineinzulegen pflegt. Die Arbeit selbst ist dir glüklich von statten gangen, einige trefliche Züge der Auslegung und Erfindung sind drinne. Ausgemahlt sind viele Stellen ganz treflich, besonders alle die der innern Empfindung von Zärtlichkeit und Kraft, w.z.B. die Verheissung des ewigen Lebens, das Weiden der Schaafe unter Palmen, das siegende Gefühl der Engel, eh und indem sie die Schlacht anfangen. In einigen Gestalten und Gleichnissen hast du dich auch gut gehalten nur schwinden deine Ungeheuer für mich zu schnell in allegorischen Dampf auf, doch ist auch [115] dies, wenn ichs recht bedenke das klügste Theil das du ergreiffen konntest. Es ist mir leid dass ich die zwölf folgende Gesänge nicht gleich habe. Bei dieser Gelegenheit lies ich mir den griechischen Text wieder geben und sah auch Piscators Übersezung an.

Nun noch ein herzlich Wort der Sehnsucht an dich, und der Hoffnung, sie wird alle Tage stärcker. Lass uns ia einander bleiben, einander mehr werden denn neue Freunde und Lieben mach ich mir nicht.

Mit Toblern weis ich nicht wies war. Er hat wohl nähe und Vertrauen zu mir. Aber leider fühl ich meine 30 Jahr und Weltwesen!! schon einige Ferne von dem werdenden, sich entfaltenden, ich erkenns noch mit Vergnügen, mein Geist ist ihm nah aber mein Herz ist fremd. Grose Gedancken, die dem Jüngling ganz fremd sind, füllen iezt meine Seele, beschäfftigen sie in einem neuen Reiche, und so kann ich nicht als nur geborgt nieder ins Thal des Thaus und der Morgenbe gattung lieblicher Turteltauben. Er sagt dir vielleicht wie's ihm mit mir war. Wohl ists uns zusammen nicht worden.

Adieu guter. Meine Seele ist immer bey dir.

G. [116]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1779. An Johann Kaspar Lavater. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8FED-8