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An Christian Gottfried Daniel Neesvon Esenbeck

An Ew. Hochwohlgeboren ein Schreiben beginnend sind ich mich immer in einiger Verlegenheit, denn indem ich jedesmal mit Dank anfangen und zuletzt auch damit endigen muß; so sollte ich, den Regeln einer guten Redekunst zu Folge, wenigstens von Zeit zu Zeit auf eine neue Wendung denken; da mir aber zuletzt doch dieses Kunststück ausgehen möchte, so will ich sowohl jetzt als künftig bey dem reinen Ausdruck verharren, damit es nicht etwa die Gestalt gewinne, [228] als wenn ich bey dem natürlichsten Gefühl nöthig hätte mich auf Phrasen zu besinnen.

Und so erwähne ich also mit Freuden der colorirten Tafeln, die mir den Werth der schönen Gedächtnißgabe erst recht klar machen. Die Farbe bleibt überall, besonders auch bey Pflanzen, als Hindeutung auf den Charakter höchst merkwürdig; wie dieses auch hier der Fall sey, haben Sie selbst recht schön ausgedruckt, und ich sehe mich hiebey nicht nur durch Ehre, sondern auch durch Belehrung verbunden. Ich hoffe nächstens Gelegenheit zu nehmen, jenes so freundlich Gewidmete einigermaßen zu erwidern.

Die Schilderung Noses hat mir und vertrauten Freunden, die sich Abends wieder bey mir zu versammeln anfangen, die erfreulichste Beschäftigung gegeben; man wußte Ansicht, Einsicht, leicht schildernde Hand genugsam zu schätzen. Ich habe nun meinem Wunsche gemäß den Mann vor mir, dem ich nachzuarbeiten geneigt bin, und, indem ich schon hiezu den Hauptschritt gethan, einen Auszug aus seiner Bildergallerie zu fertigen, so geh ich in der Folge um desto sicherer, da ich den persönlich zu sehen glaube, mit dem ich als einem Alters- und Sinnesgenossen mich zu unterhalten Vergnügen finde. Daß er mir gewogen sey, nehm ich gern auf, da denn doch immer Neigung erwidernde Neigung zu erzeugen geeignet ist.

[229] Hierbey gedenke ich einer früheren Abbildung des Faujas de Saint Fond, welche Breislack Platte II seines Werkes wieder copiren läßt, ob sie gleich als falsch schon langst anerkannt seyn soll. Hier bitte nun, mir entweder aus eigener Kenntniß oder durch Nachfrage gefällig anzuzeigen, ob denn nicht von dem Delphi der neuern Geognosten, von dem Nabel unserer modernen Geologie, von dem feuerlustigen Auvergne genaue, nach der Wahrheit gezeichnete Kupfer vorhanden sind? Nach der Wahrheit, sag ich, und nicht nach Skizzen, wie es bey den Voyages pittoresques gewöhnlich geschieht, die man an Ort und Stelle flüchtig hinschreibt und zu Hause nach dem Gedächtniß pomphaft verarbeitet.

Langweilen uns doch die Architecten mit ägyptischen, nudischen und andern Ruinen, von denen weder Freude noch Erbauung, kaum einige Belehrung zu nehmen ist, und das alles gemessen, aufgerissen, von guten Künstlern gezeichnet und vollendet; sollte man denn nicht auch einmal an die Natur gehen, um genaue Belege von Vorkommen und Form zu denen ewigen subjectiven Versicherungen vulkanistischer Apostel und Proselyten hinzufügen.

Wäre schon etwas mehr oder weniger Befriedigendes zu finden, so bitte mir es anzuzeigen, wo nicht, durch Ihren weitumgreifenden Einfluß dieses so unschuldige, als nothwendige Geschäft anzuregen und zu befördern. Von meiner Seite will ich nicht ermangeln [230] das Nöthige zu thun; denn es ist in diesen, wie in so vielen andern Fächern genugsam offenbar, daß sich Menschen Naturphänomene zu erklären allzu bereit finden lassen, denen der Genius, bey manchen andern Gaben, das theorethische Vermögen und die Kenntniß ihres mitwirkenden Subjects völlig versagt hat.

Der mitgetheilte, hier zurückgehende Brief hat mir viel Freude gemacht. So eine reale und zugleich geistreich-humoristische Natur, die am Seyn festhält, indessen wir uns im Werden vielleicht verlieren, ist höchst interessant zu kennen, und eben so bedeutend zu schauen, wie ein solcher Mann den Umsturz einer sonst anerkannten, wenigstens angenommenen Denk-und Vorstellunsweise nicht gern sehen kann und wo möglich ablehnen möchte. Beyliegendes Gedicht ist ihm zugedacht, es kommt auf Sie an, ob Sie räthlich finden es ihm zu senden. Öffentlich würde ich nicht damit hervortreten, denn ich halte dafür, eine gedruckte Kirche, eine eminente Minorität muß sich in sich selbst befestigen, ohne sich der Majorität gerad entgegen zu stellen.

Der junge Studirende, den ich freundlich empfing, hat mir Ihre Amoenitates überreicht; abermals ein Zeugniß Ihrer großen, nach allen Seiten hin zweckmäßigen Thätigkeit. Möge alles zum besten gelingen und jedes in seiner Art sich fortschreitend Raum machen, Grund legen und aufbauen.

[231] Das kryptogamische Werk langte früher gleichfalls an, zu meiner abermaligen Verwunderung; denn blos durch Ihre Augen kann ich noch das Mikroskopische betrachten und das unendlich eine mir genähert sehen; wohin wir denn doch unsere Blicke gleichfalls zu richten haben, wenn wir uns mit dem unendlich Großen beschäftigen.

An der Ausführlichkeit, ich will nicht sagen Weitschweifigkeit dieser Blätter erkennen Sie wohl, ohne mein Erinnern, daß ich so eben aus der breiten gesprächigen Welt zurückkehre, wo man gar vieles hört, was man nicht billigt und gar manches erwidert, was man nicht immer verantworten kann.

Beylegen muß ich noch ein Hopfenblatt, vom Ruß, wie man es nennt, angegriffen, mit einer kurzen Notiz, die ich in Böhmen aufgesetzt habe; ich füge Fragen hinzu, über die Sie mich geschwinder aufklären, als ich mich selbst durch Nachschlagen und Nachdenken fördern könnte. In solchen Fällen nehm ich mir künftig die Freyheit einer eiligen Anfrage, und ich kann nur immer dabey gewinnen.

Die späte Sendung der Hefte verzeihen Sie; sie wurden vor meiner Abreise nicht fertig, dadurch gab's Irrungen, die ich nach meiner Rückkunft jetzt erst auflöse. Herrn Nöggerath bitte das eine Exemplar zuzustellen; Herrn d'Alton, der mir seine Ankunft meldet, hoffe selbst eines zu überreichen und zugleich manches mit ihm zu besprechen.

[232] Dürft ich gelegentlich noch um einige Musterstücke vom Drachenfels bitten.

Ich schließe, ob ich gleich noch manches zu sagen hätte, in Hoffnung solches bald nachzubringen.

Die treusten Wünsche.

ergebenst anhänglich

Weimar den 29. September 1823.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Christian Gottfried Daniel Neesvon Esenbeck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-901D-4