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An Johann Gottfried Herder
[Frankfurt, Herbst 1771.]
Daß ich Ihnen geben kann, was Sie wünschen, und mehr als Sie vielleicht hoffen, macht mir eine [1] Freude, deren Sie mich so wenig als eines wahren Enthusiasmus fähig glauben können, nach dem Bilde, das Sie sich einmal von mir haben machen müssen. Genug, ich habe noch aus Elsaß zwölf Lieder mitgebracht, die ich auf meinen Streifereien aus denen Kehlen der ältesten Mütterchens aufgehascht habe. Ein Glück! denn ihre Enkel singen alle: »Ich liebte nur Ismenen.« Sie waren Ihnen bestimmt, Ihnen allein bestimmt. so daß ich besten Gesellen keine Abschrift aufs dringenste Bitten erlaubt habe. Ich will mich nicht aufhalten, etwas von Ihrer Fürtrefflichkeit, noch von dem Unterschiede ihres Werthes zu sagen. Aber ich habe sie bisher als einen Schatz an meinem Herzen getragen; alle Mädchen, die Gnade vor meinen Augen finden wollen, müssen sie lernen und singen; meine Schwester soll Ihnen die Melodien, die wir haben (sind NB. die alten Melodien, wie sie Gott erschaffen hat) sie soll sie Ihnen abschreiben. Und nun geschwind Adieu, daß ich ans Abschreiben komme.
Nun bin ich fertig, und warte, bis die Post abgeht. Ich hoffe die Lieder sollen Ihnen Freude machen. Und hiermit Adieu. Von Celtischen, Galischen, Sachen soll nächstens etwas folgen. Es fehlen mir noch gewisse Bücher, die ich aber bald kriegen muß. Einige Gravamina über Ihren Brief, mit dem ich, im ganzen, sehr zufrieden zu sein Ursache hab'. Eins zum voraus: machen Sie künftig ein Couvert; es sind [2] einige Stellen versiegelter als die Offenbarung Johannis.
Weiter nichts für diesmal. Ich bin
Ihr Goethe.
Meine Schwester macht mich noch einmal ansetzen. Ich soll Sie grüßen, und Sie auf den 14. October invitiren, da Shakespeares Namenstag mit großem Pomp hier gefeiert werden wird. Wenigsten sollen Sie im Geiste gegenwärtig sein, und wenn es möglich ist, Ihre Abhandlung auf den Tag einsenden, damit sie einen Theil unsrer Liturgie ausmache.
Meine Eltern empfehlen sich Ihrem Andenken.
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