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An Marianne von Eybenberg

[10. December 1811]

So eben schließen wir einen Brief an die gute Schwester nach Berlin, in welchem, wie überhaupt in unserer Correspondenz, von den schönsten Leckerbissen [436] die Rede ist, von Kaviar, Dorschen, Sandern, Schellfischen, besonders aber Spickgänsen, welche uns aus einer grauen, pommerschen Ferne gar freundlich entgegen leuchten. Außerdem ist aber auch von Tragödien die Rede, besonders gegenwärtig von der Tochter Jephta's, und auf welche Weise dieses gute Kind geopfert werden soll. Dem Protégé unserer lieben Grothus darf es nicht übel gehen, und so wollen wir uns seiner Productionen redlich annehmen.

Die Oper Achille ist denn endlich sehr gut und glücklich aufgeführt worden; wir haben schon zwey Repräsentationen gehabt, welche die sämmtliche beywohnende Welt in Erstaunen gesetzt habe. jedermann ist entzückt, und Brizzi selbst versichert, nicht leicht ein solches Ensemble gefunden zu haben. Die Oper wird noch zweymal gegeben, und dann tritt er seine Rückreise nach München an.

Daß in diesen Tagen nicht viel Weiteres ist von mir gethan und geleistet worden, können Sie wohl denken. indessen, daß doch etwas geschehe, redigire ich die Hackert'sche Biographie, von der ich, wenn ich mich nicht irre, Ihnen früher Etwas vorgelesen habe. Man erstaunt wirklich über das Schlaraffenleben, welches der Künstler damals in Italien und besonders in Neapel führte, und mit einer sonderbaren Empfindung erinnert man sich, daß man auch mit an diesen Tische gesessen hat.

Wie gedachtes Büchlein den Künstlern, so muß[437] Gleim's Leben von Körte, welches eben heraus gekommen, allen denen willkommen seyn, die sich für deutsche Litteratur interessiren. Es ist äußerst interessant, diesen braven Mann so viele Jahre immer auf gleiche Weise wirken zu sehen. Hätte er so viel Talent gehabt, als Charakter, so würden ihn seine Werke zum ersten Range in der Dichterwelt erheben.

Ich würde noch von manchen anderen, ähnlichen Producten schreiben, wenn ich nicht wüßte, daß solche Vögel sich nicht leicht nach dem lustigen Wien verlieren, und man sieht erst recht, wie weit diese Kaiserstadt von uns entfernt liegt, wenn man sich von solchen Dingen unterhalten will, die hier viel und dort nichts gelten. Übrigens will es scheinen, daß es mit den Bankozetteln bald wie mit der Litteratur aussehen wird.

Der Prinz de Ligne hat an den Herzog einen äußerst lustigen Brief geschrieben. Ich lasse hiebey die Stelle copiren, welche meine Wahlverwandtschaften betrifft. Sie rechnen mir diese kleine Eitelkeit nicht hoch an; da sich viele Gegner alle Mühe geben, dies Werklein zu discreditiren, so mag es wohl auch erlaubt seyn, unter Freunden was Freunde denken mitzutheilen.

»Aidé d'une bonne traduction, j'ai lu avec admiration les affinités électives: et je plains les hommes begueules, et les femmes qui souvent le sont moins, de n'avoir pas trouvé, au lieu d'immoralités [438] qui n'existent pas, tous les secrets du coeur humain, le developpement de mille chose qu'on n'a pas senties, parcequ'on ne reflechit pas, des tableaux du monde, de la nature, et deux portraits piquants et neufs, Lucienne dans un genre et Mitler dans un autre. Quel chef d'oeuvre, même en français, que les tablettes d'Ottilie! et que de profondeur, et d'attachant, et d'imprévu dans cet ouvrage, où il y a la plus grande superiorité sur ceux des autres nations! – J'espere et Vous aussi surement, Monseigneur, que le Major et Charlotte se consolent un peu à présent, et que s'ils ont des petites fantaisies de part et d'autre, ils se les confient: car c'est là la seule manière d'être heureux en mariage. etc.«

Hierauf folgen großer Gesang bey mir, und Prinz Friedrich gegenwärtig, da ich mich denn nicht enthalten konnte, ihm den Sessel bescheren zu lassen, der ihm sehr große Freude machte. Die Blätter waren auf einem großen Sessel aufgesteckt und nahmen sich zusammen sehr gut aus, so daß mich fast meine Tugend gereut hätte. Wahrscheinlich erhalten Sie von ihm bald einen dankbaren Brief.

Zum Schluß des Ganzen will ich Sie ersuchen, [439] mir einige Nachricht von Freund Humboldt zu geben, den ich wenn Sie ihn sehen, schönstens zu grüßen bitte. Sobald ich zu einer Art von Ruhe komme, erhält derselbe auch wieder einmal einen Brief von mir. Ein paar Worte von ihm würden mich sehr erfreuen.

Und nun leben Sie für diesmal recht wohl, grüßen die Engländerin, unsere Freundin, zum allerschönsten. Wie führt sich Pepine auf? Sagen Sie ihr einen freundlichen Gruß von mir.

Ist denn die Herzogin von Curland noch in Wien? Viele Empfehlungen an die liebenswürdige Fürstin, und die theuren Ihrigen. Manches andere, was mir noch einfällt verspare ich bis zum nächsten. Was übrigens Post und Polizeimeister nicht zu wissen brauchen versteht sich von selbst.

G. [440]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1811. An Marianne von Eybenberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-909C-8