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An Friedrich Jacob Soret

Auf Ihr gehaltreiches höchst willkommenes Schreiben erlauben Sie mir, mein Werthester, wenn auch nur Einiges zu erwidern.

Vor allem gönn ich Ihnen von Herzen den freyen Anblick jener herrlichen Gegend, den Aufenthalt in einer so bedeutenden Stadt und die Umgebung von angeborenen und erworbenen Freunden. Dankbar erkenn ich, daß Sie sich meiner so freundlich erinnern wollen, und kann dagegen von unsern theuren verehrten Persönlichkeit manches Erfreuliche melden. In Belvedere geht alles, wie ich vernommen und zum Theil selbst Zeuge war, aus dem Guten in's Bessere. Unserm Fürsten ist die Töplitzer Badecur sehr wohl bekommen, so daß ein leichter Katarrh als Folge einer Erkältung auf der Rückreise nichts als von Bedeutung angesehen werden darf. Gleichermaßen verhält sich's mit der Gesundheit unsrer Frau Großherzogin. Und so dürfen wir denn auch wohl erfreuen, daß es in häuslicher Umgebung ganz leidlich aussieht.

[1] Wenn sich nun hierauf meine Nachrichten beschränken, so sehen Sie daraus, daß ich, gerade im Gegensatz von Ihnen, wenig oder nichts von Äußerlichkeiten zusagen weiß. Füge ich nun hinzu, daß Fräulein Ulrike sich mit Frau Gräfin Henckel in Töplitz befindet, Demoiselle Pallard von Jena aus uns manchmal besucht, so sehen Sie, daß ich immer wieder zu geliebten Personen zurückkehre.

Auch von Berlin kommen immerfort die besten Nachrichten, welches alles meinem Gemüth sehr zu Gute kommt, da meinen Augen, außer den Malven im Garten, nichts Erfreuliches begegnet. Gebaut wird freylich viel, von Architektur wüßt ich wenig zu sagen; doch werden Sie manches reinlicher und freundlicher finden, als Sie es verlassen haben, besonders wenn Sie hinter dem Ettersberg kein Genf und keinen See zu suchen kommen.

Wenn ich nun aber die vorliegenden weißen Räume meines Briefpapier nicht ungenutzt soviel Meilen weit versenden soll, so muß ich mich zu denen uns sonst so beliebten Capiteln der Oryktognosie und Geognosie hinwenden und berichten, daß die Anwesenheit des Herrn Grafen Sternberg unsern Sammlungen viel Vortheil gebracht hat; denn indem dieser edle Freund die Flora subterranea, wie wir sie in schönen Exemplaren besitzen, richtiger benamsete und methodischer ordnete, so hat dieses Fach zuerst einen eignen Werth erlangt und eine gewisse Anziehungskraft [2] erworben. Durch die Gefälligkeit des Herrn v. Sömmerring haben wir ein treffliches Facsimile des berühmten Or nithocephalus erhalten, welcher sonst in dem Mannheimer Kabinett sich befand, nun in München aufbewahrt wird, erst von Collini, dann aber von Sömmerring commentirt und entfaltet wurde. Es ist vielleicht das Merkwürdigste unter allen Resten von Solnhofen; der Gypsabguß aber so genau und schön gefärbt, daß man das Original vor sich zu sehen glaubt.

Anderes, zwar nicht in dem Grad, aber doch immer Merkwürdige sey bis zu Ihrer willkommenen Rückkehr verspart; doch darf ich nicht verhehlen, daß mein Sohn, seitdem er durch Ihre Geneigtheit mit dem Mont Salève bekannt geworden, die Hoffnung nicht aufgibt, mit noch einigen Exemplaren von dorther bereichert zu werden.

Hier will ich aber, damit das Blatt nicht liegen bleibe, für dießmal schließen, in der Erwartung, daß Sie meiner guten Tochter Gelegenheit geben, Ihnen von den geselligen Tagen das Bedeutende zu vertrauen.

Aus meinem Briefe sehen Sie dagegen leider, indessen Sie sich in dem lebendigen Genf erfreuen, daß ich mich zunächst mit antediluvianischen Carcassen beschäftige, welches doch eigentlich nur als ein pis aller angesehen werden kann.

In treuster Theilnahme

Weimar den 9. August 1827.

J. W. v. Goethe. [3]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Friedrich Jacob Soret. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-90F0-8