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An Carl Friedrich Zelter

Heute sind es gerade drey Wochen, daß ich durch einen widerwärtigen Rheumatismus abgeschlossen bin von allem eigentlich geselligen Leben. Meine Nächsten hatten die Freundlichkeit mich diese Tage her zu subleviren.

Das bißchen Thätigkeit, was mir übrig blieb, hab ich angewendet, um zu beseitigen, was nur einen mäßigen Willen und keine Geisteskraft verlangte. Ich[222] hatte die ersten Monate des Jahres gut angewendet, so daß ich mich das Geleisteten erfreuen konnte, indem ich manches in Gedanken vorbereitete, was zunächst auch gelingen wird.

Das Erste von Bedeutung, was ich vornehme, ist die Berathung über dein Wappengebilde. Ich sende das Modell der guten Facius zurück, zugleich mit einem andern, das hier von einem geschickten jungen Manne gemacht worden; ich melde zugleich, was noch zu bedenken und zu überlegen wäre, so daß die gute Künstlerin wohl mit Leichtigkeit und Freyheit das vorgesteckte Ziel erreichen möchte; es soll mich freuen, wenn der Anblick erheitert; ein leichtes Ehrenkreuzlein ist immer etwas Lustiges im Leben; das leidige Marterholz, das Widerwärtigste unter der Sonne, sollte kein vernünftiger Mensch auszugraben und aufzupflanzen bemüht seyn. Das war ein Geschäft für eine bigotte Kaiserin Mutter, wir sollten uns schämen, ihre Schleppe zu tragen. Verzeih! aber wenn du gegenwärtig wärst, müßtest du noch mehr erdulden. Mit 82 Jahren nimmt man es wirklich ernster in sich und für sich selbst, indem man die liebe leidige Welt in ihrem vieltausendjährigen Narrenleben in Gottesnamen fortwandeln läßt. Es ist schrecklich, wie sich das ein- über das andere Mal wieder in seinen Irrthümern brüstet.

Da ich das wieder überlese, möcht ich es zurückhalten, wie mir jetzt sehr oft geschieht; da man nicht[223] einmal sagen mag, wie man denkt wie fällt's einem ein, so zu schreiben.

Nach allen diesen, etwas Timonischen Ausdrücken, die man sich nicht immer versagen sollte, darf ich dir wohl vertrauen: daß seit Anfang des Jahrs mir manches gelungen ist, was ich dafür halten kann, weil ich wenigstens es nicht besser zu machen wüßte. Sey dir also dergleichen Vermächtniß hiemit angekündigt.

Auch bin ich sehr glücklich gewesen mit allerliebsten und schätzbaren Zeichnungen, wodurch mir vorzüglich alte Künstler, die ich bisher kaum dem Namen nach kannte, ganz nah gebracht werden. Dieses sind alles ganz stille Freuden unter dem bescheiden klösterischen Dache; laß mir nun immerfort auch wissen, wie du dich in deiner breiten, rauschenden und tönenden Welt behaben magst.

In der Revue de Paris Nr. 1. den 1. May, dritter Jahrgang, steht ein merkwürdiger Aufsatz über Paganini. Er ist von einem Arzte, der ihn mehrere Jahre gekannt und bedient; dieser setzt auf eine gar kluge Weise heraus, wie dieses merkwürdigen Mannes musicalisches Talent durch die Conformation seines Körpers, durch die Proportionen seiner Glieder bestimmt, begünstigt, ja genöthigt werde, das Unglaubliche, ja das Unmögliche hervorzubringen. Es führt uns andere dieß auf jene Überzeugung zurück, daß der Organismus in seinen Determinationen die wunderlichen Manifestationen der lebendige Wesen hervorbringe.

[224] Hier will ich nun, da noch etwas Raum ist, eines der größten Worte niederschreiben, welches uns unsre Vorvordern zurücklassen haben:

»Die Thiere werden durch ihre Organe

unterrichtet.«

Nun denke man sich, wie viel vom Thier im Menschen übrig bleibt, und daß dieser die Fähigkeit hat, seine Organe zu unterrichten, so wird man gern auf diese Betrachtungen immer wieder zurückkehren. Und nun schnell in's Couvert, damit es mich nicht reue, so Wunderliches auf das Papier gebracht zu haben.

und also fortan!

Weimar den 9. Juni 1831.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-90F2-4