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An Carl Friedrich Zelter

Alles macht sich recht hübsch; Doris ist wirklich zu guter munterer Zeit gekommen und hat sogar einige Abendunterhaltungen versäumen müssen. Sie wird viel zu erzählen haben und man wird daraus ersehen, daß Weimar immer eine Art von kleinem Hexenkreise bleibt, wo ein Tag vom andern, ein Jahr vom andern lernt, und wo man versteht, für dasjenige was allenfalls vermißt wird ein Surrogat zu finden. Da gar vieles durch Ottilien geschieht, so helf ich im Stillen nach; man muß nur nicht immer dasselbe verlangen und guten Humor genug haben, um sogar zu fördern was uns mißfällt.

Das Gelingen deines Bildes und der Beyfall den es in Berlin genoß freut mich gar sehr, ich lasse mir eins dergleichen in meine Sammlung zeichnen; es hat sehr viel Charakter und Anmuth zugleich. Herr Begas wird nicht unzufrieden seyn, zu so erfreulicher Kunstnachbildung die erste meisterhafte Veranlassung gegeben zu haben.

Schon vor einiger Zeit hast du mir gemeldet: daß einige gebildete Berliner sich freuten, außer deinem[227] Exemplare meiner Farbenlehre vielleicht kein andres in Berlin zu wissen. Ist etwa eins auf der Königlichen Bibliothek, so wird man es dort secretiren und als ein verbotenes Werk verläugnen. Zwey Octav-Bände und ein Quart-Heft sind seit dreyundzwanzig Jahres gedruckt, und es gehört zu den wichtigsten Erfahrungen meines hohen Alters, daß seit jener Zeit die Gilden und Societäten sich dagegen immer wehren und in greulicher Furcht davor begriffen sind. Sie haben Recht! und ich lobe sie darum. Warum sollten sie den Besen nicht verfluchen der ihre Spinneweben, früher oder später, zu zerstören Miene macht? Damals schwieg ich, jetzt will ich doch einige Worte nicht sparen.

Es sind alles ehrenhafte wohldenkende Männer in der Gesellschaft von der du erzählst; aber freylich gehören sie einer Gilde, einer Confession, einer Partei an, welche durchaus wohlthut, alles widerwärtig Eingreifende, das sie nicht vernichten können, zu beseitigen.

Was ist ein Minister anders als das Haupt einer Partei, die er zu beschützen hat und von der er abhängt? Was ist der Akademiker anders als ein eingelerntes und angeeignetes Glied einer großen Verneigung? hinge er mit dieser nicht zusammen, so wär er nichts, sie aber muß das Überlieferte, Angenommene weiterführen und nur eine gewisse Art neuer einzelner Beobachtungen und Entdeckungen hereinlassen [228] und sich assimiliren, alles Andere muß beseitigt werden als Ketzerey.

Seebeck, ein ernster Mann im höchsten besten Sinne, wußte recht gut wie er zu mir und meiner Denkweise in naturwissenschaftlichen Dingen stand; war er aber einmal in die herrschende Kirche aufgenommen, so wäre er für einen Thoren zu halten gewesen, wenn er nur eine Spur von Arianismus hätte merken lassen. Sobald die Masse, wegen gewisser schwierigen und bedenklichen Vorkommenheiten, mit Worten und Phrasen befriedigt ist, so muß man sie nicht irre machen. Wie du mir schreibst, gestehen jene Interlocutoren selbst daß er mäßig gewesen sey, d.h. daß er sich über die Hauptpuncte nicht erklärte, stillschweigend anhörend anhören konnte was ihm mißfiel und, hinter wohlanschaulichen Einzelnheiten, ich meyne durch entschieden glückliches Experimenten, worin er große Geschicklichkeit bewies, seine Gesinnungen verhüllte, indem er seinen akademischen Pflichten genugthat. Sein Sohn versicherte mich noch vor kurzem der reinen Sinnesweise seines trefflichen Vaters gegen mich.

Der wunderliche Fall der sich so eben erreignet pp.

Fortsetzung folgt.

Folgerecht

Weimar den 4. Februar 1832.

G.


Der liebe und wahrhaft schätzbare Ferdinand Nicolovius bringt eben deinen Brief und ist um desto willkommender. [229] Schreibe nach Bequemlichkeit, laß dir aber jede Gelegenheit bequem seyn; ich will es auch so manchen. Eine unterbrochene Correspondenz ist keine. Dafür soll aber auch die Fortsetzung alsobald nachfolgen.

Zum 4. Februar 32.

G.


Den ersten Dank für die Pariser Nachricht. Es ist ein großer Schritt, höchst nöthig, aber kaum denkbar, ein großer Sieg über die Anarchie. Möge es ferner gelingen!

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1832. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9137-4