6/1793.

An Charlotte von Stein

Clausthal Sonnabend d. 20. Sept. 83.

Du wirst nun L. L. zwey Briefe von mir haben, einen mit der Post, einen durch Frl. Stein. Du hast gewiß im Schreiben gefühlt wie viel Vergnügen mir die deinigen machen würden, die ich hier gefunden habe, und der dritte den ich heute Abend erhalte.

Meine Reise geht sehr glücklich ich habe das schönste Wetter, und Morgen früh wagen wir uns auf den Brocken. Fritz ist gar lieb und gut und macht mir grose Freude. An ihm geniese ich ieden Augenblick im Stillen des Glücks daß ich ganz dein bin. Erst d. 18ten Abends kamen wir hier an. Ich werde dir viel von der schönen Frau erzählen, sie wusste nicht woran sie mit mir war, und gern hätte ich ihr gesagt: ich liebe, ich werde geliebt, und habe auch nicht einmal Freundschafft zu vergeben übrig. Vielleicht seh ich sie noch einmal in Göttingen oder Cassel denn sie geht in diesen Tagen nach Strasburg.

Hier bin ich recht in meinem Elemente, und freue mich nur daß ich finde ich sey auf dem rechten Weege mit meinen Spekulationen über die alte Kruste der neuen Welt. Ich unterrichte mich so viel es die Geschwindigkeit erlaubt, sehe viel, das Urtheil giebt sich.

Du wirst dich freuen über eine Menge Ideen die ich mitbringe auch über menschlich Natur und Wesen,[199] und was dich eigentlich angeht, du kannst mich immer noch einige Zeit missen, denn du wirst der entbehrten Tage doppelt geniessen. Wie glücklich machst du mich durch das sichre Gefühl daß ich dein sey, ich bin's auch l. Lotte, es ist unmöglich iemanden mehr anzugehören. Die ersten Tage an einem Orte wo soviel neues auf einen zuströmt geht es seinen Gang, aber wenn diese Bewegung abnimmt entsteht eine recht ängstliche Sehnsucht nach dir, die keine Worte ausdrücken. Wenn ich dir nur von den vielen schönen Gegenden etwas nach Ehringsdorf schaffen könnte daß du es an stillen Tagen zeichnetest, wir haben die schönsten Gegenstände mancher Art gesehn.

Bey Trebras gehts uns gut, es sind sehr redliche Menschen. Sie grüst dich recht herzlich und machts mit Fritzen wohl.

Grüse deine Schwester, du wirst ihr doch wohl vertraut haben daß dein alter Freund werth ist. Lebe wohl. Grüse den Herzog wenn er wiederkommt und bitte ihn wenn er etwas zu befehlen hat, es nur nach Göttingen zu schicken. Adieu. Ich bin ganz bey dir und grüse dich wo du auch seyst am Camin, im Cabinete, an irgend einem vielgeliebten Orte gute Nacht.

G.


d. 21. Sept.

Ehe wir den Brocken besteigen sage ich dir noch einen guten Morgen. Das Wetter hat sich überzogen,[200] vielleicht kommt uns das Morgen früh zu Gute denn wir bleiben diese Nacht oben. Oben auf dem Gipfel auf den alten Klippen will ich mich nach deiner Wohnung umsehn und dir die Gedancken der lebhafftesten Liebe zuschicken. Schon vor mehreren Jahren that ich dasselbe, und wieviel anders ists ietzo lebe wohl meine beste. Ich schreibe bald wieder.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1783. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9141-C