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An den Herzog Carl August

So sehr mein Gemüth auch gewohnt ist sich mit Ihnen zu unterhalten, so gewiß ich nichts Gutes genieße ohne Sie dessen theilhaftig zu wünschen, so verlegen bin ich jetzt doch gewissermassen wenn ich die Feder ansetze Ihnen zu schreiben. Kaum darf ich dencken daß in Ihrem bewegten Leben, Sie jetzt etwas interessiren könnte, was ich aus dem Schooße der Ruhe schreiben dürfte. Ich komme eben von Castell Gandolfo zurück, wo ich ohngefähr drey Wochen der schönen Jahrszeit in guter Gesellschaft genoßen. Die ganze herrliche Reihe von Hügeln worauf Fraskati, Marino, Castello, Albano, Larici, Gensano, Nemi liegen ist vulkanisch; aber ihre alte Bewegung ist so in Ruhe übergegangen, daß ihre Bewohner schon Jahrtausende sich eines friedlichen Sitzes erfreuen, und nur die neuere Naturlehre hat uns aufmercksam gemacht auf die Gewalt die ehmals in diesen Gegenden tobte und jene Höhen hervorbrachte, die wir nun bebauen und genießen. Und wie auf ausgebrannten Vulkanen leben wir auch hier auf den Schlachtfeldern und Lagerplätzen der vorigen Zeit. An dem See von Nemi erinnerte mich ein sonderbarer Gegenstand an Sie, [270] an Ihre gegenwärtige militarische Beschäftigungen, an Ihre entschiedne Leidenschaft.

Wir hatten uns am Rande des Sees, eines alten Craters, unter schönen Platanen gelagert, eine Quelle floß sparsam aus dem Felsen und nahe dabey lag ein alter, trockner, hölzner Trog, aus einem Baumstamme ausgehöhlt. Ich sah die Gegend mit Augen des Zeichners an, und bemerckte nicht, daß dieser hölzerne Trog eine Seltenheit sey, da in Italien alle solche Wasserbehälter von Stein sind. – Ein alter Mann, der Früchte gebracht hatte, sprach zu einigen der Gesellschafft und sagte: »Diesen Trog haben die Deutschen Anno 44 gemacht, als sie hier in Quartier lagen, es waren zwey Tröge, den andern hat die Zeit aufgerieben. Es lag damals Cavallerie in Nemi und sie hölten diese Tröge aus um die Pferde bequem zu träncken.« Gleich erinnerte ich mich, was Sie mir einst von Ihrem Anteil, an der Schlacht bey Velletri schrieben, und frug den alten aus: wo die Deutschen gestanden? wo das Lager gewesen? pp er gab mir von allem Bericht. Das Haupt Lager war gerade über uns, an der Seite des Monte Cavo. Eine köstliche Position, die auch ehmals Hannibal erwählt hatte.

Das Wetter verhinderte uns, auf den Monte Cavo zu gehn und auch die Übersicht der ganzen damaligen Expedition zu haben, denn man übersieht von da die ganze Gegend.

Fast hätte ich Ihnen einen Span aus dem Troge [271] geschnitten und Ihnen so eine recht landsmännisch militarische Reliquie geschickt. Wenn es mit meinem Zeichnen ein wenig besser vorwärts geht; so will ich die Platanen mit der Quelle und dem Troge, der wohl noch eine Weile liegen wird, zeichnen und schicken, da ich doch nicht wohl hoffen darf Ihnen aus der Quelle selbst sobald ein Glas zuzutrincken.

Während dieser Villeggiatur habe ich viel Menschen auf einmal gesehen und kennen lernen, welche ich einzeln nicht würde aufgesucht haben, es ist auch für Gewinn zu rechnen eine Nation nach und nach mit Bequemlichkeit zu sehen, mit der man nichts gemeines haben kann.

Meine besten Wünsche begleiten Sie auf allen Wegen und Stegen. Wenn Sie einen Augenblick Zeit finden; so bitte ich, mir wieder einmal zu sagen wie Sie leben, und mich durch ein Paar Worte Ihres Andenckens zu versichern. Nur zu sehr spüre ich in diesem fremden Lande daß ich älter bin. Alle Verhältniße knüpfen sich langsamer und loser, meine beste Zeit habe ich mit Ihnen mit den Ihrigen gelebt und dort ist auch mein Herz und Sinn, wenn sich gleich die Trümmern einer Welt in die andre Wagschale legen. Der Mensch bedarf wenig, Liebe und Sicherheit seines Verhältnißes zu den einmal erwählten und gegebnen kann er nicht entbehren. Leben Sie tausend mal wohl.

Rom d. 23. Oktbr. 87.

Goethe. [272]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1787. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9151-8