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An Carl Friedrich Zelter

Auch wir, mein Bester, haben an der Pein des Rathschlagens gelitten, doch glücklicherweise nur kurze Zeit. Zwey Architekten standen gegen einander; der eine wollte ein quasi Volkstheater, der andere ein vollkommenes Hoftheater aufführen, und so erschienen auch hier die beiden Partheyen des Tags im Gegensatz und balancirten einander wirklich. Nur die Entschlossenheit des Großherzogs machte dem Schwanken ein Ende, er trat auf die Seite der Majorität, so daß wir etwa sechzehn Tage nach dem Brand entschieden sind was geschehen und da wir einmal einen Hof haben auch ein Hoftheater eingerichtet werden soll.

Hiezu gehörte freylich daß beide obgemeldeten Pläne schon seit Jahren fertig da lagen, und ich will nicht läugnen daß derjenige welcher die Gunst gewann von mir und dem Ober-Bau-Director Coudray seinen Ursprung hat, und es ist wunderlich genug daß wir durch euren Theaterbrand aufgeregt worden und seither [180] immer zur Übung daran dachten und arbeiteten; so wirkt das alles durch auf einander.

Mein neues Heft Kunst und Alterthum erscheint bald; meine Briefe an Schiller nehmen sich nicht übel aus. Die Bemerkung die du machst, daß er in gewissen Dingen mit mir nicht einig ist, wie z.B. wegen der innern oder äußern Furien, diese wird sich auf eine merkwürdige Weise wiederholen, wenn die sämmtliche Correspondenz zum Vorschein kommt. Auch schon in diesem Jahrgange findet sich verschiedenes der Art, und ich habe das Vergnügen zu sehen daß sehr viele für mich votiren, da ich ihm niemals widersprach, sondern ihn, wie in allen Dingen, also auch bey meinen eigenen Sachen gewähren ließ.

Den Aufsatz über die serbische Poesie, so wie die Gedichte selbst, empfehl ich dir besonders; sollte das Wesen dich nicht gleich anmuthen so suche hineinzudringen. Ich habe mit Sorgfalt die Sache behandelt; was ich über die Volkslieder überhaupt sage ist kurz aber wohlbedächtig. Wenn ich nach und nach die Lieder anderer Nationen specifisch ebenso vorführe, wird man hoffentlich zur Einsicht desjenigen kommen um welches man bisher nur mit düsterm Vorurtheil herumschwärmte.

Das letzte Heft der Morphologie liegt bey. Analog Denkende verstehen sich, wenn auch dem einen oder dem andern Theil der Gegenstand worüber gesprochen oder geurtheilt wird fremd wäre; hab ich doch in meinen [181] Heften manches vorgetragen was den Männern vom Fach selbst, eben weil sie anders denken, unfaßlich bleibt. Ich werde so fortfahren so lange es mir gegönnt ist, mit niemand streiten, aber auch niemand zu Liebe Ansicht und Überzeugung verbergen.

Die Gunst des Bundestages wird dir und meinen Berliner Freunden nun schon durch die Zeitung bekannt geworden seyn, wir wollen abwarten wie sich die Sache weiter ausbildet.

Die Franzosen haben gegen die deutsche Literatur eine wunderliche Lage; sie sind ganz eigentlich im Fall des klugen Fuchses, der aus dem langen Halse des Gefäßes sich nichts zueignen kann; mit dem besten Willen wissen sie nicht was sie aus unsern Sachen machen sollen, sie behandeln alle unsre Kunstproducte als rohen Stoff den sie sich erst bearbeiten müssen. Wie jämmerlich haben sie meine Noten zum Rameau durch einander entstellt und gemischt; da ist auch gar nichts an seinem Fleck stehen geblieben.

Schreibe ja öfter. Wenn du durch Berlin gehst denke du seyst auf der Reise und sage mir deine Gedanken über dieses und jenes, ich werde dir gleichfalls melden wie es um mich steht. Man mache es in späteren Jahren schriftlich, wie in früheren bey persönlichem Umgang; ein bischen Hin- und Wiederreden, auch Klatschen (wenn du willst) kann nicht schaden.

treulichst

Weimar den 11. April 1825.

G. [182]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1825. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9160-6