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An Carl Friedrich von Reinhard

Weimar den 28. September 1807.

Sie haben mich nunmehr, verehrter Freund, durch drey Briefe erfreut und mir dadurch das Andenken an die schönen Carlsbader Tage lebhaft erneuert. Einen von mir abgesendeten werden sie kaum erhalten haben. Leider war er von Carlsbad nach Jena zu lange unterwegs geblieben. Er ging von da etwa den 10. dieses nach Cöln ab.

Daß ich hier von Ihnen reden höre, daß Sie mit Herrn von Wolzogen zusammengekommen sind, daß Sie die Unsrigen in Paris treffen, das alles macht mir Sie abwesend gegenwärtig und läßt mich ein bleibendes, ja ein näheres Verhältniß hoffen.

Tausend Dank sey Ihnen gesagt, daß Sie sich meines Farbenwagstücks von Zeit zu Zeit erinnern und hie und da ein gutes Wort dafür aussprechen wollen. Leider kann ich Sie nicht sogleich in den Stand setzen, um in Paris davon öffentlich im Institut Erwähnung zu thun. Zwar denk' ich immer an einen Prospectus, den man französisch und deutsch mit dem werke herausgeben könnte. Nach Ihrem Rath wäre das Historische zur Einleitung, das Polemische kurz und bündig, wie man an die Newtonische Epoche käme, so wie alles übrige polemische, gegen die epicureische Vorstellungsart und sonst am gehörigen Orte, [418] zwar kurz aber hinreichend aufzustellen. Dazu gehört aber Sammlung und ich muß mich in meiner hiesigen Lage, die mir, bey einem fast viermonatlichen Außenbleiben, einigermaßen fremd geworden ist, wieder zu fassen suchen. Könnten Sie jedoch einstweilen hier und da ein guter Vorurtheil für die Sache erregen und mir irgend Jemand anzeigen, der schon vorbereitet wäre, und den Prospectus freundlich aufnähme und ihn austheilte, wenn ich ihn ihm sendete; so wäre für die Folge viel gewonnen. Ich gedulde mich schon achtzehn Jahre in dieser Sache und kann wohl noch einige Jahre zusehen.

Eigentlich aber ist das Schlimmste, daß Hauy, der nach Verdienst in großem Ansehen steht und, so viel ich weiß, ein kluger, leise auftretender, einflußreicher Mann ist, der des Gunst hat, daß dieser in seinem Compendium der Physik die Newtonische Theorie nächst viel andern als ein himmlisches Palladium aufgeführt und sie zur Norm beym Schulunterricht in den Lyceen aufgestellt hat. Aus Erfahrung weiß ich nun sehr wohl, daß ein Gelehrter das, was er einmal hat drucken lassen, nicht leicht zurücknimmt, sondern wenn er ja eines bessern überzeugt wird, seine Meinung nur nach und nach verschwinden läßt, und eben so nach und nach das rechte unmerklich unterschiebt, wodurch denn die Welt gewissermaßen nicht gebessert, wird weil eine gewisse Indifferenz von Wahrheit und Irrthum auf diesem Wege entstehen [419] muß. Dergleichen Fälle sind mir viele bekannt und ich fürchte sehr, daß die Franzosen, indem sie mit Gewalt die rein weißen englischen Musseline von Häfen und Marktplätzen abhalten, sich noch lange mit diesem schmutz- und aschenweißen theoretischen Schleyer das Haupt verhüllen werden.

Indem Sie Herrn Ebel einigen Antheil an dieser Unternehmung einflößten, so haben Sie mir eine große Gefälligkeit erzeigt. Ich hatte schon längst Ursache, ihn wegen seiner Kenntnisse und seines Charakters zu schätzen. Wir beriefen ihn sogar einmal, als einen Schüler Sömmerings, zur Professur der Anatomie; welche vortheilhafte Stelle er aber auf eine sehr edle Weise ausschlug. Viel kommt darauf an, wie lange sie in Paris bleiben und was ich von Ihnen und durch Sie vernehme. Versäumen Sie die Gelegenheit nicht, wenn ein Courier von den unser herausgeht, damit ich, bey den übrigen nicht so ganz heitren Aspecten, wenigstens persönlich etwas erfreuliches zu erwarten habe.

Im Ganzen habe ich jedoch, wie ich gern gestehen will, seit einiger Zeit wieder guter Muth. Es scheint, daß die menschliche Natur eine völlige Resignation nicht allzulange ertragen kann. Die Hoffnung muß wieder eintreten, und dann kommt ja auch sogleich die Thätigkeit wieder, durch welche, wenn man es genau besieht, die Hoffnung in jedem Augenblick realisirt wird.

In diesem Sinne habe ich ein Vorspiel zu Er- [420] öffnung unsres Theaters geschrieben, wo ich Gewalt und Vertilgung, Flucht und Verzweiflung, Macht und Schutz, Friede und wiederherstellende Freude lakonisch vorgeführt habe. Vielleicht gebe ich es bald ins Morgenblatt, da es Ihnen denn auch wohl zu Gesicht kommt.

So viel sey vorsorglich geschrieben und hingelegt, da man einen Eilbogen von Paris erwartet, der Ihnen auf seiner Rückkehr dieses Blatt bald genug zubringen wird.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1807. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-91AB-2