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An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, 14.? April 1773.]

Nun will ich nichts weiter lieber Kestner, das wars was ich wünschte, was ich nicht verlangen wollte, denn den Geschencken der Liebe giebt die Freywilligkeit all den Werth, solltet mir aus dem Schoose eures Glücks an der Seite von Eurer Lotte, die ich euch, vor tausend andern gönne, wie all das Gute was mir die Götter versagen. Aber dass ihr, weil euch das Glück die Karten gemischt hat, mir der Spadille stecht, mir ein höhnisch gesicht zieht, und euch zu euerm Weibe legt find ich unartig, ihr sollt euch darüber bey Lotten verklagen und sie mag entscheiden. Mich einen Neider und Nexer zu heissen, und dergleichen mehr, das ist all nur seit ihr verheurathet seyd. Meine Grillen lieber müssen nun so drein gehn. Ich war mit Anngen in der Comödie. Es ist gut dass ich morgen nach Darmstadt gehe, ich verliebte mich warrlich in sie. Ihre Gegenwart hat alles Andencken an euch wieder aufbrausen gemacht, mein ganzes Leben unter euch, ich wollt alles erzählen biss auf die Kleider und Stellungen so lebhaft, sie mag [80] euch sagen was sie kann. O Kestner, wenn hab ich euch Lotten missgönnt im menschlichen Sinn, denn um sie euch nicht zu missgönnen im heiligen Sinn, müsst ich ein Engel seyn ohne Lung und Leber. Doch muß ich euch ein Geheimniss entdecken. Dass ihr erkennet und schauet. Wie ich mich an Lotten attachirte und das war ich wie ihr wisst von Herzen, redete Born mit mir davon, wie man spricht. »Wenn ich Kestner wäre, mir gefiels nicht. Worauf kann das hinausgehn? Du spannst sie ihm wohl gar ab?« und dergleichen. Da sagt ich ihm, Mit diesen Worten in seiner Stube, es war des Morgens: »Ich binn nun der Narr das Mädchen für was besonders zu halten, betrügt sie mich, und wäre so wie ordinair, und hätte den Kestner zum Fond ihrer Handlung um desto sicherer mit ihren Reizen zu wuchern, der erste Augenblick der mir das entdeckte, der erste der sie mir näher brächte, wäre der letzte unsrer Bekanntschaft,« und das beteuert ich und schwur. Und unter uns ohne Pralerey ich verstehe mich einigermassen auf die Mädgen, und ihr wißt wie ich geblieben binn, und bleibe für Sie und alles was sie gesehen angerührt und wo sie gewesen ist, biss an der Welt Ende. Und nun seht wie fern ich neidisch binn und es seyn muß, und das sag ich euch, wenn ihr euch einfallen lasst eifersüchtig zu werden so halt ich mirs aus mit den treffensten Zügen auf die Bühne zubringen und Juden und Christen sollen über euch lachen. Denn entweder ich binn ein Narr, das schwer zu glauben fällt, oder sie ist die feinste Betrügerinn, oder denn – Lotte, eben die Lotte von der die Rede ist. –

[81] Ich gehe morgen zu Fuß nach Darmstadt und hab auf meinem Hut die Reste ihres Brautstrausses. Adieu. Es tuht mir leid von Anngen zu gehen, was würds von euch seyn es ist besser so, nur dass ich ihr Portrait nicht gemacht habe, ärgert mich. Aber es ist in Herz und Sinn lebendig. Adieu. Ich habe nichts als ein Herz voll Wünsche. Gute Nacht Lotte. Anngen sagte heut ich hätte den Namen Lotte immer so schön ausgesprochen. Ausgesprochen! Dachte ich!

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1773. An Johann Christian Kestner. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-91B7-6