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An Carl Friedrich Zelter

Sey dir vielmals gedankt, mein Guter, daß du mir durch dein Schreiben Gelegenheit gibst, in leidlicher Stunde etwas Freundliches zu erwidern.

Zuerst will ich also des guten Jungius gedenken und versichern, daß mir das Wenige, was du vom Anfange des 17. Jahrhunderts sagst, schon genügt. [99] Über einige Stellen des Heftes wünsche aufgeklärt zu seyn und werde nächstens deshalb das Weitere vermelden.

Meine Mutter pflegte zu sagen, wenn ihr gar zu viel Freunde über den Hals kamen: Sie lassen mich die Nase nicht putzen. Ich freue mich, daß ich dich in einer ähnlichen Verlegenheit sehe.

Dagegen sagen aber auch die Leute, daß du keine der Gelegenheiten, über die du dich beklagst, zu versäumen pflegest und das ergo bibamus durchaus wissest gelten zu machen.

Ich bin seit vier Wochen und länger nicht aus dem Hause, fast nicht aus der Stube gekommen; meineWandernden, die zu Ostern bey euch einsprechen werden, wollen ausgestattet seyn. Das Beginnen, das ganze Werk umzuarbeiten, leichtsinnig unternommen, will sich nicht leichtfertig abthun lassen, und so hab ich denn noch vier Wochen zu ächzen, um diesen Alp völlig wegzudrängen, ganz im Gegensatz von deinem Wesen und Thun, da du mit völlig Fertigem und Bereitem retardirt und bey Seite geschoben wirst.

Herr Pascal ist kein fleißiger Leser von Kunst und Alterthum, sonst hätte er seiner liebenswürdigen Sendung, S. 402 des letzten Stücks, freundliche Erwähnung gefunden. Ich halte zwar in meinen Papieren die allermöglichste Ordnung, sonst könnt ich auch nicht einen Tag leben; aber doch fehlt's manchmal in einzelnen Puncten, und ich konnte den Namen jenes[100] höchst freundlichen Gebers, den ich zu nennen wünschte, nicht auffinden. Nur zu spät erinnerte ich mich, daß sein Schreiben unter den Papieren, auf jenen Geburtstag bezüglichen, sorgfältig niedergelegt war. Danke ihm zum schönsten. Des hübschen Töchterchens wirst du dich ohne Aufmunterung annehmen. Hat er keine meiner Medaillen, so schick ich sie dir.

Die großherzogliche gewünschte hab ich selbst nicht in Kupfer gesehen. Ich besitze sie durch des Herren Gunst in Gold. Ich will forschen, ob unter seinem Nachlaß vielleicht broncene vorhanden sind und mir für deinen Freund und mich zugleich ein Exemplar ausbitten.

Herrn Krüger habe ohnmöglich einige Stunden schenken können, ob er es gleich gar wohl verdient hätte; denn durch ein Bild des Prinzen Wilhelm hat er sich bey mir sehr in Credit gesetzt. Niemand begreift aber, was mir die Stunden in einer Folge werth sind, da ich die unterbrochenen für völlig verloren nicht allein, sondern für schädlich und zerstörend achten muß. So sind auch die Fremden, die nicht begreifen, was mir gerade durch eine Unterbrechung geraubt wird.

Und doch ist es mir immer unangenehm, wenn ich weit herkommende Menschen, mich selbst vertheidigend, abweisen muß.

Du hast dich über Gleiches zu beklagen, aber als Musicus mußt du es mit der Welt halten; die Welt [101] hat nichts von mir, als was sie schwarz auf weiß sehen kann.

Wenn ich meine Wandergesellen, redlich ausgestattet, fortgeschickt habe, so mögt ihr leichtsinniges Volk sie aufnehmen, wie ihr könnt; ich aber werde mich alsobald nach der Natur wenden und vor allen Dingen eine französische Übersetzung meiner Metamorphose der Pflanzen, mit einigen Zuthaten, zu befördern suchen. Die paar Monate in Dornburg haben die alten Anschauungen und Betrachtungen wieder auf's anmuthigste angeregt und begünstigt.

Überhaupt muß ich nun versuchen, Tag für Tag, Stunde für Stunde zu seyn, was noch zu leisten ist, um das Gegründete rein aufzurichten und praktisch zu befestigen. Es gibt sehr vorzügliche junge Leute, aber die Hansnarren wollen alle von vornen anfangen und unabhängig, selbstständig, original, eigenmächtig, uneingreifend, gerade vor sich hin, und wie man die Thorheiten alle nennen möchte, wirken und dem Unerreichbaren genug thun. Ich sehe diesem Gange seit 1789 zu und weiß, was hätte geschehen können, wenn irgend einer rein eingegriffen und nicht jeder ein Peculium für sich vorbehalten hätte. Mir ziemt jetzt 1829 über das Vorliegende klar zu werden, es vielleicht auszusprechen; und wenn mir das auch gelingt, wird's doch nichts helfen, denn das Wahre ist einfach und gibt wenig zu thun, das Falsche gibt Gelegenheit, Zeit und Kräfte zu zersplittern.

[102] Das nimm nun also hin, was ich in gewonnener einsamer Stunde für dich dictire, und gib mir Anlaß, auch an einem deiner guten Worte mich wieder zu erbauen.

unwandelbar

Weimar den 2. Januar 1829.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-91BD-9