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An August von Goethe

Tepliz d. 26. Jun. 1813.

Ich danke dir, mein lieber Sohn, für die verschiedenen Briefe die du mir gesendet, und die Nachrichten die du mir gegeben hast. Du mußt mir verzeihen, wenn ich nicht sträcklich geantwortet und sonst deine Äußerungen freundlich erwidert habe; denn in der letzten Zeit ging es bey uns nicht rasch zu Werke und ich hatte alles zu thun, um meine Aufmerksamkeit auf meine Arbeit, worauf so vieles ankommt, zu concentriren.

Nun will ich dir aber auch abermals ein Gedicht schicken. Es ist die erste Frucht meiner Abreise von Weimar und zwar um 10 Uhr früh in Eckartsberge geschrieben (nb. den 17. April). Da mir mein Begleiter kurz vorher dieses Thüringerwaldsmärchen erzählt hatte. Theile es Riemern mit, es muß aber recht gut und dramatisch vorgelesen werden.

Sodann ersuche ich dich, unserm Dr. Schlosser nach Frankfurt zu schreiben, dessen Addresse jetzt nicht mehr Stadtgerichtsrath, sondern Director der Großherzogl. Lyceen heißt. Du fragst bey ihm an, ob er einen Brief von mir erhalten, worin die Contributi onsdeclaration befindlich gewesen. Zugleich war die Assignation, die ich Ramannen geben wollte, angekündigt.

[387] Diese Assignation war mit auf die Rolle gewickelt, welche ich einem Weimarischen Reitknecht Montags den 14. Juni übergeben und die nunmehr in euren Händen seyn wird. Das Kupfer, die Sprengung der Dresdner Brücke vorstellend zeigt diesen schrecklichen und traurigen Gegenstand gut aufgefaßt. Daß es an der Natur gesehn ist, beweist mir der kleine Zug, wie sich das zerrissene eiserne Geländer sperrt und dreht. Daran würde wohl niemand denken, welcher dergleichen aus der Imagination machte. Die gedruckte dir schon angekündigte Sammlung halte ich billig zurück. Wenn Ruhe und Friede wieder über der Welt kommen sollte, wird man sie greulich finden.

Kupferstecher Müller erinnert bey mir eine Unterschrift unter das von Jagemann gezeichnete Schillersche Todtenbild. die Sache verhält sich folgendermaßen:

Ich wollte dazu die beyden letzten Stanzen aus dem Epilog zu der Glocke geben; allein nicht so, wie sie gedruckt sind, sondern wie sie Madame Wolff bey Wiederholung der Vorstellung gesprochen hat. Nun findet sich aber die beliebte Veränderung, die mehr in's Allgemeine ging, und diese Rede etwas grandioser schloß, weder unter meinen Papieren noch bey'm Theater. Um den guten Müller zu befriedigen, möchte ich folgenden Vorschlag thun. Du sagtest Riemern die Sache, Er sähe die beyden Stanzen an und spräche mit Mad. Wolff. Vielleicht findet sie die Veränderung[388] noch in ihrem Gedächtniß. Wäre das nicht, so gäb Riemer dem Schlusse wohl selbst noch einen Schwung: denn, wie ihr hier steht, so bezieht er sich auf das was das Publicum für Schillers Kinder thun sollte, welches jetzt weder Zweck noch Bedeutung mehr hat.

Daß jener Brief an Schlosser glücklich angekommen sey, kann ich hoffen; denn ich habe von Seebeck, an den ich auch über Eger geschrieben, Antwort erhalten, und so wird ja auch wohl wie nach Nürnberg, So nach Frankfurt a/M. ein Schreiben glücklich angelangen können.


Tepliz 27. Jun. 1813.
So eben fällt mir der Schluss ein von jenen Stanzen zu Schillers Andencken.
denn was dem Mann das Leben
Nur halb gewährt wird/soll ganz die Nachwelt geben.
Ersuche Riemer und Mad. Wolf nun das Beste zu fernerer Ergänzung zu thun.

Ich lege dir ein Concept bey von einem früheren Bericht an den Herzog. es giebt dir einen allgemeinen Begriff von der Umgebung. Seit der Zeit habe ich auch Dr. Stozen in Aussig besucht. Ein lieber junger Mann, mit einer wohlwollenden häuslichen Frau und zwey allerliebsten Söhnchen. Er ist voller Muth, ob er gleich, wie ich von andern weiß, [389] in seiner Lage nur mühsam seine Haushaltung erhält. Merkwürdig ist es, und selten muß es seyn; er hat eben jetzt eine sehr gute Stelle abgelehnt, weil er sich ihr nicht gewachsen fühlt, und sie ihn noch überdieß hindern würde, sich auszubilden. Überhaupt sind diese Böhmen, wenn ihnen einmal das Licht aufgeht, ganz vortreffliche Menschen, und um so braver, als das Licht, was sich über Deutschland verbreitet hat, zu ihnen gedrungen ist, ohne die fratzenhaften Gaukelbilder mitzubringen, die aus unseren philosophischen Laternen so schattenhaft überall herumschwanken. Er ist ein trefflicher Geolog, hat eine genaue Kenntniß der Gegend, hat die größte Luft sich zu unterrichten und zu sammlen, und da es ihm an Vermögen fehlt, seine Liebhaberey zu befriedigen, so muß er um desto thätiger seyn, den Tauschhandel mit inländischen Mineralien durchzuführen, der nun freylich auch durch die gegenwärtige Zeit gehemmt wird.

Ich wünschte dich wohl einmal auf 14 Tage mit hier, damit du einen anschaulichen Begriff auch von einem solchen Bezirk hättest: denn selbst für Feldbau glaube ich nicht, daß es eine seltsamere Gegend giebt; er erstreckt sich nicht nur über das hügliche Land, sondern bis in die tief ausgewaschenen Thäler des Urgebirgs, wo die Menschen Milliarden von Granit- und Gneisgeschieben aus dem Acker auflesen, und in die seltsamen Dammreihen aufgeschichtet los zu [390] werden suchen, damit der dazwischen befindliche kostbare Boden zu ihrer Disposition bleibe, den sie fast gartenhaft behandeln. Und nun steigt von da aus erst die Wiesenwässerung, dann ein gleicher Feldbau bis auf die Höhe des Erzgebirges, wie du in dem Artikel von Klostergrab wirst gelesen haben. Das Gebirge welches Böhmen und Sachsen scheidet, hat hier freylich den großen Vortheil, daß es gegen Süden gewendet ist, und daß selbst der leicht verwitternde Gneis und der durch eine Unzahl Jahre von Wäldern bedeckte Boden die Cultur der Feldfrüchte sehr begünstigt. Übrigens leidet die hiesige Gegend zwischen dem Haupt-und Mittelgebirge an Trockniß, weil sich die Wolken, wie ich öfters bemerken konnte, hinüber und herüberwenden, ohne sich in dem Zwischenraum auszulösen.

Mineralien habe ich schon angefangen einzupacken und habe wirklich die allerschönsten, d.h. instuctivsten Sachen gefunden. der stängliche Thoneisenstein ist ein Mineral, das uns Bewunderung ablockt, so oft man es betrachtet. Nun ist es pseudovulkanisch. Es entsprang aus einer gewissen Wirkung der Hitze auf den Schieferthon. Nun suche ich die Folge davon zu sammeln. Die entschieden schönen Stücke, welche zu besitzen mir großes Vergnügen macht, werden aber eher gefunden, weil die Aufmerksamkeit erregen, als die Übergänge, woraus sich anschaulich ergiebt, wie das Gebildete aus dem Ungebildeten möglich ward.[391] Dazu habe ich schon Anlässe, und hoffe es noch weiter zu bringen.

Diese Untersuchungen, Betrachtungen und Sammlungen machen den schönsten Theil meines hiesigen Vergnügens, theils an und für sich, theils weil sie eine geistreiche Unterhaltung geben die Personen, die sich früher oder später, mehr oder weniger, gründlicher oder oberflächlicher mit diesen Dingen beschäftigten.

So auch treibe ich meinen alten Spaß noch immer fort, in jeder Mühle nachzufragen, wo sie ihre Mühlsteine hernehmen, und dieses giebt mir eine schnellere Übersicht der Geologie des Landes, als man denken könnte. Ihr Thüringer könnt euch noch immer glücklich preisen, daß ihr eure Mühlsteine von Grawinkel ziehn könnt.


Tepliz d. 30. Jun. 1813.

Und so lebe denn wohl. Erbaue dich aus den Blättern die ich der Mutter sende. Empfiel mich dem Herrn Gesandten schönstens, Herrn Geh. R. von Voigt gleichfalls aufs beste. Zeigt nur meine Briefe nicht, erzählen könnt ihr daraus mit Überlegung und Vorsicht.

Vale.

G.
[Töplitz, 3. Juli 1813.]

Heute Nacht hats endlich geregnet; leider sieht es hier in der nächsten Umgebung mit allen Sommerfrüchten sehr mißlich aus. Doch soll im Durchschnitt die Erndte in Böhmen gut werden.

[392]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-91DC-3