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An Carl Friedrich Zelter
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Eben so muß man von der andern Seite die Schweizer und alle, welche durch Multiplication große Kunstwirkungen hervorbringen wollen, ihren Gang gehen lassen. Freylich wirkt die Masse viel, besonders eine Masse von Canonen und Zuschlagenden; in den Künsten aber, wenn man es genau besieht, wirken die Massen zuletzt auch nur stoffartig, und wer sich dabey verklärt fühlt, der weiß doch nicht, was dem Menschen zugetheilt und erlaubt ist, auch nicht, was er in dieser Art vertragen und ertragen kann.

Was du über die Molltonleiter im Sinne hast, bringe ja zu Papiere, es käm gerade zur rechten Zeit; ich habe mit Riemern auch darüber etwas ausgesonnen, das will ich dictiren, zusiegeln und deine Sendung [48] abwarten, alsdann aber sogleich abschicken. Es wäre sehr schön, wenn wir aus verschiedenen Wegen zu demselben Ziel gelangten.

Den Berlinern werde ich nun wohl Schlegels Vorlesungen abandonniren müssen. Sie halten freylich bey näherer Prüfung nicht Stich. Die ersten Blätter lesend, war ich zufrieden, das Alte zu hören, weil mir das Neue gar zu oft ärgerlich wird. Freylich aber will man das Alte immer vollständiger haben, geordneter, zusammengefaßter, übersichtlicher, und das ist denn hier nicht geleistet. Und wie will auch einer eine Geschichte schreiben dessen, was nicht sein Metier ist? Ich hab es oft bemerkt: wenn ich etwas zu redigiren hatte, was ich nicht von Grund aus verstand, so mußte ich Phrasen machen, es mochte mir Ernst seyn wie es nur wollte.

Dein; O Jemine! möcht ich wohl, wenn wir mündlich zu verhandlen hätten, als Text einer langen bedeutenden predigt unterlegen. Ich habe die Vermuthung, daß allem und jedem Kunstsinn der Sinn für Musik beygesellt seyn müsse; ich wollte meine Behauptung durch Theorie und Erfahrung unterstützen.

Eure theatralische Überfülle bewundre höchlich. Meine alte Überzeugung wird durch jene jungen Auftretenden bestärkt. Mimische Talente werden immer geboren, und zu unserer Zeit haben sie eine viel leichtere und bequemere Entwickelung: die Musik hält ihre Schüler zusammen, sie dürfen aus Ton und [49] Maaß nicht weichen. Der recitirende Schauspieler dagegen muß durch Übung nach und nach zu einer gewissen Einheit seiner selbst gelangen und sich ohne Wissen und eigentliches Wollen, so weit seine Natur verstattet, hervorbilden. Wenn wir nehmen, was für wunderbare Dinge eine deutsche Schauspielerin durcharbeiten muß, so würde sie zuletzt ganz aus einander fallen, wenn ihr Innerstes nicht zusammenhielte. Und so ist denn auch, wegen des angebornen Eigensinns, von Frauen in diesem Fach immer mehr zu hoffen als von Männern, die gar leicht Pedanten oder Phantasten werden.

So weit gelangte ich vor meinem Geburtstag, wo sich werthe Freunde, wie mir wohl bekannt war, zu einem anmuthigen Fest herkömmlich bereiteten; aber es sollte mir eine Überraschung werden, die mich beynahe aus der Fassung gebracht hätte und doch immer eine Empfindung zurückließ, als wäre man einem solchen Ereigniß nicht gewachsen.

Des Königs von Bayern Majestät kamen den 27. August in der Nacht an, erklärten am folgenden Morgen, daß Sie ausdrücklich um dieses Tages willen hergekommen seyen, beehrten mich, als ich grad' im Kreise meiner Werthen und Lieben mich befand, mit Ihro höchster Gegenwart, übergaben mir das Großkreuz des Verdienstordens der Bayerischen Krone und erwiesen sich überhaupt so vollständig theilnehmend, bekannt mit meinem bisherigen Wesen, Thun und Streben, daß ich es nicht dankbar genug bewundern und verehren konnte. Ihro Majestät gedachten meines Aufenthaltes zu Rom mit vertraulicher Annäherung, woran man denn freylich den daselbst eingebürgerten fürstlichen Kunstfreund ohne weiteres zu erkennen hatte. Was sonst noch zu sagen wäre, würde mehrere Seiten ausfüllen.

Die Gegenwart meines gnädigsten Herrn des Großherzogs gab einem so unerwarteten Zustand die gründlichste Vollendung, und jetzt, da die Erscheinung vorüber geflohen ist, habe ich mich wirklich erst zu erinnern, was und wie das alles vorgegangen und wie man eine solche Prüfung gehöriger hätte bestehen sollen. Was man aber nicht zweymal erleben kann, muß wohl so gut als möglich aus dem Stegreif durchgelebt werden. Die überbliebenen schönsten Gefühle und bedeutendsten Zeugnisse geben auf alle Fälle die Versicherung daß es kein Traum gewesen.

Und so sey dir dieses meinem mehr als jemals nahen Freunde gewidmet, dessen Bildniß all und überall gegenwärtig blieb.

W. d. 6. Sept. 1827.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-91E1-6