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An Henriette von Knebel

[Mit Carl v. Knebel.]

Maynz den 13ten December 1774.


Meine liebste Henriette!

Schon gestern hatte ich Dir von Franckfurth aus geschrieben, unser Freund Göthe kam, und ich verbrannte den halbvollendeten Brief. Was soll ich Dir sagen, mein gutes Kind? Alles ist zu viel, um es Dir zu sagen. Ich blieb gestern alleine in Franckfurth um den besten aller Menschen zu genießen. Heute bin ich mit ihm hierher gefahren, wo wir unsre Prinzen wieder angetroffen haben, und diesen Abend werden wir in die Comödie gehn. Ich habe den Rhein diesen Mittag zuerst passirt. Uebermorgen gehn wir wieder von hier weg und geradezu


Da will der Bruder nun nicht fortfahren, kann auch nicht wohl denn er ist in seiner Bewegung die Sie wohl kennen müssen weil ich sie kenne der anderthalb vierundzwanzig Stunden mit ihm ist. Und doch [214] wollt ich dass der Brief geendigt und zugesiegelt wäre, sonst gehts ihm wie einem von gestern Abend der verbrandt wurde, und ich halte davor, dass wenn gleich ein Autor viel Bogen ungeendet lassen, oder wenn sie geendet sind sie verbrennen soll, doch ein Bruder an seine Schwester, und umgekehrt das unbedeutendste Oktav Blättgen fortsenden und beschleunigen mag. Denn ich hab eine Schwester und weiss auch drum was Sie Ihrem Bruder seyn können. Und so leben Sie recht wohl der Brief soll nun fort, wärs auch nur um Ihnen zu versichern dass Ihr Bruder recht leidlich ist in dem alten Maynz, und Sie recht lieb hat. Das sieht nun wohl lächerlich dass ich das für ihn schreiben soll. Aber doch nicht, denn ein Mensch dem's wohl ist und ein rechter Liebhaber ist kein guter Geschichtsschreiber. Ich bins fast auch nicht, wie Sie an meiner Hand und Courtoisie sehen möge so einen schönen Abend haben da Sie das lesen als ich da ich das schreibe, und so frag ich nicht ob meine Treue Patschhand etwa ein wenig zu rauh fallen mögte. Ich bitte Sie vergelten Sie Ihrem Bruder was er an mir gethan hat.

Goethe

Post Scriptum.

Ihr Bruder konnte vorstehendes nicht recht lesen, da fällt mir ein: Vielleicht können Sie's auch nicht lesen. Und da bitt ich dencken Sie ich hätts in dem[215] Hof Ton etwas zu leis geredt und Sie hätten mich da auch nicht verstanden –


Ich kann nicht ein Wort hinzufügen, als daß Du aus dem Vorstehenden sehen wirst, daß der Verfasser der Leiden des jungen Werther's der liebenswürdigste auf der Welt ist, und daß es mir auf diese Art recht gut geht. Er hat uns von Franckfurth hierher nach Maynz begleiten müssen. Uebermorgen gehen wir gerade zu, wie ich hoffe, nach Carlsruh. Schreibe mir doch dahin, ob die 100. Thaler nach Weimar sind geschickt worden. Dieß ist anizt meine einzige Sorge. Ich hoffe, daß man dieß wird für mich gethan haben, denn das Gegentheil wäre ja unverantwortlich. Lebe wohl beste Henriette! Grüsse unsre lieben Eltern, unsre Brüder. Meinen Brief nach Carlsruh schliesse ein unter der Adresse: An Herrn Herrn Legations Rath Klopstock in Carlsruh – und bitte im Couvert, gegenwärtigen Brief bey meiner Ankunft abzugeben. Adieu bestes Kind! Ich muß fort, und darf nur in Gedanken fast stets bey Dir seyn.

Dein Carl.


Ew. Gnaden mögen sich nicht an die Form gegenwärtigen Schreibens stosen, es ist alles herzlich gut gemeynt.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1774. An Henriette von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-91E6-B