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An Sulpiz Boisserée

Gegenwärtiges schreibe zu vermelden, daß ein Kistchen, in Packleinwand eingenäht, so eben durch die fahrende Post an Sie abgesendet wird. Der Inhalt brauchte nicht soviel Umstände, wenn ich nicht zugleich einen Gypsabguß der Medaille Mahomets des Zweyten überschicken wollte, dem ich glückliche Überkunft wünsche.

[149] Dieser mächtige und fürchterliche Herrscher verlangte vom venetianischen Senat einen Mahler, und man weiß daß Gentile Bellini nach Constantinopel gegangen. Wenn man nun auch nicht anzunehmen braucht daß der genannte Medaillen-Künstler Bertoldo auch das Profil nach einer vortrefflichen unmittelbaren Zeichnung gebildet sey. Ich bitte, das Licht von oben oder von der rechten Seite einfallen zu lassen, da Sie denn gewiß den Ausdruck eines in sich gekehrten orientalischen Herrschers bewundern werden. Die Medaille muß nach 1467 entstanden seyn, als in welchem Jahre er das alte Reich Trapezunt vernichtet hatte, wovon er sich nun als Herrscher nennt. Die Rückseite ist auch dem Ende des funfzehnten Jahrhunderts ganz angemessen und erinnert, wie ähnliche Rückseiten, an Mantegna und seine Kunstverwandten.

Die Blätter des Chaos sende bis 12 incl., worin Sie eine sehr abwechselnde Unterhaltung finden werden. Verlangen Sie nach der Folge, so senden Sie mir gefällig bald einen Beytrag. Die Gesellschaft der Redacteure und Theilnehmer hat sich neu gebildet und verlangt vierteljährige Beyträge, als Bekenntniß fortdauernden Interesses. Ich habe daran weiter keinen Antheil, als daß ich manchmal etwas hinzugebe; denn dieses wunderliche Unternehmen gewährt gar eine hübsche Unterhaltung einem geistreichen Cirkel, [150] dem man denn seine eigene innere Bewegung nach Weise von 1831 überlassen muß.

Sodann lege ein paar Medaillen bey, die neuste Ausgabe meiner Genfer, auf die Neigung zur organischen Natur im Allgemeinen hindeutend. Herr Oberbergrath Kleinschrob empfehlen Sie mich bestens. Die mir übersendeten Exemplare der Flora subterrenea sind köstlich und machen nunmehr nebst den Ilmenauischen und Graf Sternbergischen ein höchst bedeutendes Fach meiner fossilen Sammlung aus. Meinen wiederholten Dank deshalb!

Auch unsere Gegend verleiht uns manches Interessante; drey ungeheure Elephanten-Backzähne fanden sich in einer Kiesgrube nordöstlich, ein Stoßzahn sieben Fuß lang in einem Tufflager südwestlich. Uralte Documente einer Erstwelt, die uns mehr in Verwunderung setzen als belehren.

Meine Medaillen-Sammlung des funfzehnten in das sechzehnte übergehenden Jahrhunderts ist seit dem Eintritt des orientalischen Tyrannen gar löblich vermehrt worden. Vielleicht sind Sie bald in dem Falle, nach früherer Meldung, etwas Erfreuliches beyzutragen.

Ihre litographischen Sendung beschäftigen uns gar manchmal an hellen Stunden. Auch das Bild der drey Könige von Eyck ist vortrefflich; doch gibt es bey'm ersten Anblick nicht den heiteren Eindruck, den das Original in unserem Geiste zurückgelassen. Es mag daher kommen, daß man die Localtinten dem [151] Schatten gemäß, wie neuerlich auch in dem Kupferstich gefordert wird, auszudrücken suchte, wodurch das Ganze vielleicht düsterer geworden, indem der dunklen Eigenschaft des Monochroms die Energie der Farbe abgeht, welche stets auch dunkle Stellen zu erleuchten scheint. Sagen Sie mir Ihre Gedanken hierüber, mich weiter aufzuklären.

Seitdem ich das Glück hatte, meinen Faust abzuschließen und zu versiegeln, damit er, wie er auch sey, noch einige Jahre in Ruhe bleiben möge, hab ich mich wieder in die naturwissenschaftlichen Dinge geworden, um sie so zu redigiren, zu stellen und zu ordnen, daß sie sich dereinst an die Ausgabe meiner Werke schicklich anschließen mögen. Auf diesem Wege such ich gerade jetzt aus meiner Farbenlehre zwar nicht ein Lesebuch, aber doch ein lesbaren Buch zu machen. Ohnerachtet des grimmig-hassenden Widerstrebens der Phisiko-Mathematiker wirkt sie im Stillen, wovon mir anmuthige Beweise zugekommen sind. Freylich lasten die Schulnebel zu schwer auf den Überliefernden, von denen man nicht verlangen kann daß sie sich entschließen sollen von vorn anzufragen; wer weiß aber ob das Barometer der Vernunft nicht so hoch steigen kann, um jenen dichten Dunstkreis auf einmal zu zerreißen, damit die beschmutze Sonne sich in ihrer ewig-reinen Klarheit zeige und die reine Materie dagegen das ihr anheim gegebene Farbenspiel auch vor dem geistigen Auge der Menschen beginne.

[152] Und somit werde denn für dießmal freundlichst ausgesprochen und nur die Anfrage hinzugefügt: ob Sie den Betrag, sowohl für das Domwerk als für das lithographische, aus der Fürstlichen Casse richtig erhalten haben?

Da ich noch ein leeres Blatt vor mir sehe, will ich etwas gestehen was mir von Zeit zu Zeit in den Sinn kommt.

Als ich meinen abgeschlossenen Faust einsiegelte, war mir denn doch nicht ganz wohl dabey zu Muthe; denn es mußte mir einfallen daß meine werthesten, im Allgemeinen mit mir übereinstimmenden Freunde nicht alsobald den Spaß haben sollten, sich an diesen ernst gemeinten Scherzen einige Stunden zu ergötzen und dabey gewahr zu werden, was ich viele Jahre in Kopf und Sinn herumbewegte, bis es endlich diese Gestalt angekommen.

Sogar als Dichter, der sein Licht nicht unter den Scheffel setzen will, mußt ich verzweifeln, indem ich auf die nächste unmittelbare Theilnahme Verzicht that. Mein Trost ich jedoch, daß gerade die, an denen mir gelegen seyn muß, alle jünger sind als ich und seiner Zeit das für sie Bereitete und Aufgesparte zu meinem Andenken genießen werden.

Nun aber zu vollkommener Ausfüllung des weißen Raums noch ein Geschichtchen.

Ich reis'te durch eine Landstadt in Thüringen und fragte: ob nicht im Vorbeygehen etwas Bedeutendes[153] zu sehen sey. Drauf erhielt ich eine bejahende Antwort und die Nachricht: es sey so eben auf dem Friedhofe ein sehr schönes Monument ausgestellt worden. Auf meine Erkundigung vernahm ich: der Ehrenmann, der sich solches setzen lassen, sey schon funfzig Jahre gestorben, habe in seinem Testament eine bedeutende Summe ausgesetzt, zu welcher ein halb Jahrhundert die Interesse geschlagen werden sollten. Nach Verlauf dieser zeit hätten seine Erben von einem vorzüglichen Künstler ihrer Tage ihm ein Monument setzen zu lassen. Dieß sey nun geschehen und jedermann wallfahrte zu dem Grade des wackern Mannes. Auch ich besuchte es alsobald, fand es, dem antiken Geschmack sich nähernd, gar artig und gelungen, so daß dieser gute Mann, dem es eigentlich nicht um Ruhm, sondern nur um ein heiteres Andenken zu thun war, seinen Zweck wirklich erreicht hatte.

und so fort an!

von der ersten zur letzten Zeile

W. d. 24. Nov. 1831.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-91EB-1