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An Friedrich Heinrich Jacobi

Da es zwischen Freunden doch manche Differenz geben kann; so ist es höchst erquicklich sich einmal zusammen ganz unbedingt an einer und derselben Sache zu freuen. Dieser Fall tritt ein, indem das Geschenk vor mir liegt, das mir durch deine Hand zukommt. Die W. K. F. werden sogleich in unserer Literaturzeitung ihren Jubel darüber vernehmen lassen, und ich sage deswegen gegenwärtig nichts weiter als dir und Herrn von Aretin den besten Dank. Man hätte mir so viel Ducaten schenken können, als nöthig sind die Platten zuzudecken, und das Gold hätte mir nicht soviel Vergnügen gemacht als diese Werke: denn ich hätte es doch ausgeben müssen und es wäre mir dabey vielleicht nicht so wohl geworden, als bey Betrachtung des unschätzbaren Nachlasses.

Die wunderlichen beygefügten Hefte machen die Brust freylich nicht so frey. Wenn ich mich über [24] Rottmans Controvers befragte, so fand ich bey mir, daß ich doch auch geneigter bin, von den sogenannten dunklen Jahrhunderten besser zu denken als du. In meines Vaters Hause, sage ich mir, sind viel Appartementer, und der dunkle Keller unten gehört so gut zum Pallast als der Altan auf dem Dache. Da ich jetzt meine Collectaneen zur Geschichte der Farbenlehre einigermaßen redigire und ordne; so muß ich in die Geschichte der Kunst, der Wissenschaft, der Welt überhaupt eingehen. Und da kommt mir denn doch vor, daß ich immer noch in denen Zeiten, die uns stumm und dumm scheinen, ein lauter Chorgesang der Menschheit erscholl, dem die Götter gern zuhören durften. Und für mich ist es immer ein herrlicher Anblick in das dunkle tiefe energische Wirken hineinzuschauen. Wie schön nehmen sich alsdann die einzelnen Völker und Geschlechter aus, die das heilige Flämmchen des Bewußtseyns bewahren und fortpflanzen! wie vortrefflich diejenigen Menschen, in denen die Flamme wieder einmal aufschlägt. So habe ich eine unbedingte Verehrung für Roger Baco gefaßt; dagegen mir fein Namensvetter, der Canzler, wie ein Hercules vorkommt, der einen Stall von dialectischem Miste reinigt, um ihn mit Erfahrungsmist füllen zu lassen.

Nichts ist natürlicher, als daß mir bey diesem mythologischen Namen der neue Hercules Friedrich einfällt, der statt mit einer Keule mit einem Schlegel einherschreitet. Es ist mir sehr angenehm zu sehen, [25] daß ihn auch einmal das Loos trifft, in die Reihe der Cäsaren und Alleinherrscher aufgenommen zu werden, und bin nur neugierig, wem er im nächsten Quartal wird weichen müssen. Da mich die Geschichte in dieser Serie doch auch aufführen muß, so komm ich mir vor wie Diocletian in Spalatro, und sehe höchst geruhig zu, wie sich meine Nachfolger vertreiben und erwürgen.

Übrigens bin ich nur zu sehr geehrt von dem was die Herren von mir sagen. Ein solches Lob hatte ich wohl zu verdienen gewünscht aber nicht gehofft, und es soll mir nunmehr höchst angenehm seyn, als letzter Heide zu leben und zu streben.

In wiefern ich von Schellings Rede, ihrer Anlage und Form nach, differire, weiß ich selbst nicht recht. Der Inhalt ist im Ganzen mit dem übereinstimmend, was die W. K. F., welche freylich kein Elohims sind, für wahr halten und auch oft genug ausgesprochen haben: wahr im productiven Sinne, nemlich, daß auf diesem Wege etwas entspringen und das Entsprungene einigermaßen begriffen werden kann.

Werner ist nun fast drey Monate bey uns. Wir haben alles gethan, um seine Wanda geltend zu machen. Es ist ein vorzügliches Talent. Daß er dem modernen Christenwesen anhängt, ist seinem Geburtsorte, seinem Bildungskreise und seiner Zeit gemäß. Daß die deutsche Dichtkunst diese Richtung nahm, war unaufhaltsam; und wenn etwas daran zu tadeln ist, so tragen die [26] Philosophen auch ein Theil der Schuld. Die gemeinen Stoffe, die das Talent gewöhnlich ergreift, um sie zu behandeln, waren erschöpft, und verächtlich gemacht. Schiller hatte sich noch an das Edle gehalten; um ihn zu überbieten mußte man nach dem Heiligen greifen, das in der ideellen Philosophie gleich bey der Hand lag.

Bey den Alten, in ihrer besten Zeit, entsprang das Heilige aus dem sinnlich faßlichen Schönen. Zeus wurde erst durch das olympische Bild vollendet. Das Moderne ruht auf dem sittlich Schönen, dem, wenn man will, das sinnlich entgegensteht; und ich verarge dir's gar nicht wenn du das verkoppeln und verkuppeln des Heiligen mit dem Schönen oder vielmehr Angenehmen und Reizenden nicht vertragen magst: denn es entsteht daraus, wie uns selbst die Wernerschen Sachenden Beweis geben, eine lüsterne und Redouten- und Halb Bordellwirtschaft, die nach und nach noch schlimmer werden wird.

Eben so folgerecht als das Vorhergehende ist auch die Sucht, daß ein Mann von Talent nicht allein sein Werk bewundert, sondern auch seine Person geliebt, verehrt haben will, und sich deshalb zu einer Art von Lehrer und Propheten aufwirft. Doch kann ich ihnen auch das nicht verargen. Der Schauspieler, Musicus, Maler, Dichter, ja der Gelehrte selbsterscheinen mit ihrem Wunderlichen, halbideellen halbsinnlichen Wesen jener ganzen Masse der aus dem Reellen entsprungenen und an das Reelle gebundene [27] Weltmenschen wie eine Art von Narren, wo nicht gar wie Halbverbrecher, wie Menschen die an einer levis notae macula laboriren. Sollen denn also unter dieser desavantagirten Caste nicht auch gescheute Leute entstehen, die begreifen, daß gar kein Weg ist, um aus dieser Verlegenheit zu kommen, als sich zum Braminen, wo nicht gar zum Brama aufzuwerfen?

So ist die Weihe der Kraft eine der tollsten Performances die man je gesehen. Kann man aber Ifflanden verdenken, daß er der so viele Schelmen und Narren spielen, und sich bey dem Publicum, das ewig nur den Stoff sieht, herabsetzen mußte, nun auch endlich in Versuchung geräth, als protestantischer Heiliger aufzutreten, und seine Fastnachtsbretter zum respectabeln Reichs einzuweihen, eine feste Burg ist unser Gott herunter zu intoniren und am an deutsche Kraft zu appelliren, die den 14. October zum Teufel ging, weil in den Deutschen kein Sinn vorhanden war.

Eben so macht mir Werner Spaß, wenn ich sehe wie er die Weiblein mit leidlich ausgedachten und artig aufgestutzten Theorieen von Liebe, Vereinigung zweyer prädestinirten Hälften, Meisterschaft, Jüngerschaft, verastralisirten Mignons zu berücken weiß; die Männer mit ineinander geschachtelten Mönchs- und Rittergraden, mit nächtlichen Kirchen und Capellen, Särgen, Fallthüren, teuflischen Baffometesköpfen, Geheimnisse mehr versprechenden als verbergenden Vorhängen, so künstlich als listig anzuregen, ihre Neugierde [28] zu hetzen, ihr eignes dunkles geheimnißreiches noch mehr zu trüben und zu verwirren, und sie dadurch sämtlich für sich zu interessiren versteht. Dem ich denn allen besten Vorschub thue, um einen so vorzüglichen Mann zu fördern und die Menschen dabey glücklich zu machen. Was haben sie sich nicht von mir abgewendet und mich gescholten, als ich ihnen die platten Resultate, worauf das Cophtische Wesen zuletzt doch führen muß, in einer lustigen Comödie vor Augen stellte. Wie hätten sie mich dagegen nicht angefreundet und geliebt, wenn ich mir die Muhe hätte geben wollen, ein Schelm oder Halbschelm zu seyn und sie zum besten zu haben.

Vielleicht bring ich noch etwas von Werner auf die Bühne, und hoffe überhaupt daß sein Aufenthalt bey uns ihm dazu dienen werde, daß er sein sehr schönes Talent mehr, es sey nun zu epischen oder dramatischen Zwecken, concentrire. Seine Tendenz möchte ich, wenn ich auch könnte, nicht ändern. Er ist ein Sohn der Zeit und muß mit ihr leben und untergehen; und was von ihm übrig bleibt, ist allenfalls auch nicht schlecht.

Zum Schlusse sage ich noch soviel. Wenn ich dir Jemanden empfehle, es sey von deinen Umgebungen, oder einen Ankömmling oder einen Reisenden; so versteht es sich immer, daß hierbey nichts bringendes gemeint ist und du alles nach deinem Können und Wollen einrichten magst.

[29] Aus einer Stelle deines Briefes kann ich mir nunmehr erklären, warum ich von dir als Präsidenten so viel, und von deiner Academie, als Institut, so wenig Gutes vernehme. Da du aber einmal der logos derselben bist, so wirst du auch die sarx nach deinem Ebenbilde organisiren.

Hiermit lebe wohl, habe Dank für das Übersendete und für den Brief durch den du mich zu einer weitläufigen Antwort ermuntert hast. Nach Carlsbad geh' ich im Frühjahre. Was der Sommer und der Herbst über mich verfügen, will ich erwarten. Ich denke oft genug an euch, so daß der Wunsch nothwendig rege werden muß, euch einmal wieder zu sehen. Mein August geht auf Ostern nach Heidelberg. Wenn ich zwölf Söhne hätte, so schickte ich jeden an ein andern Ort, um an meinem eignen Fleisch und Bein zu erfahren, wie es überall aussieht.

Viele Grüße und ein herzliches Lebewohl.

W. d. 7. März 1808.

Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1808. An Friedrich Heinrich Jacobi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9212-E