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An Samuel Thomas von Sömmerring

Das Exemplar Ihrer Übersetzung der Camperischen Schrift ist mir in diesen letzten tagen zugekommen. Da ich in großer Zerstreuung wegen Veränderung meines Quartieres, der Abreise des Herzogs zur Armee, des Durchmarsches der preußischen Truppen wegen lebe, habe ich kaum einen flüchtigen Blick darauf werfen können; die ersten Stunden der Ruhe werde ich dazu anwenden dieses interessante Werk durchzugehen, und Sie erlauben mir alsdann, daß ich Ihnen einige Worte darüber sage. Nehmen Sie indessen meinen Dank und die Kleinigkeiten die ich Ihnen mit diesem Briefe überschicke gütig auf.

Schon lange hätte ich Ihnen die Freude bezeigen sollen, die Ihr letzter Brief in mir erregt hat, in welchem Sie mir so schön entgegen kamen und die Hoffnung die ich habe, die Farbenphänomene unter allgemeinere Gesichtspunkte zu vereinigen, in eben dem Augenblicke belebten, als ich von vielen andern Seiten [316] wenig Aufmunterung sah in meiner Arbeit fortzufahren.

Mir scheint wenigstens für den Augenblick, daß sich alles gut verbindet, wenn man auch in dieser Lehre zum Versuch den Begriff der Polarität zum Leitfaden nimmt und die Formel von activ und passiv einsweilen hypothetisch ausspricht. Wie unmöglich war es bisher die chemischen Erfahrungen mit den optischen zu verbinden, man sehe nur die ersten Kapitel einer jeden Färbekunst, selbst der neuesten von Bertholet, in welcher wir die Fortschritte der Chemie übrigens so sehr bewundern müssen. Wird der Optiker sich überzeugen, daß Refraction und Reflexion nurFälle sind, in denen die apparenten Farben im Organ des Auges erscheinen, wo wir Farben sehen, Reflexion oder Refraction gleichsam als oberste Bedingungen wirken müssen, sondern daß sie als Fälle selbst höhern Bedingungen und Principien unterworfen sind, so wird alles leicht und bequem übersehen werden können. Denn im Grunde muß die Sache an sich sehr einfach sein, wie alle höhere in's Allgemeine wirkende Principien.

Wie Sie ganz richtig bemerkten, wird die Wirkung und Freundschaft der Säuren zu dem Gelben und Gelbrothen, der Alkalien zum Blauen und Blaurothen in einen schönen Zusammenhang gebracht, wozu uns die Chemie unzählige Versuche anbietet.

[317] Ich muß Ihnen bei dieser Gelegenheit einen Versuch mittheilen, der mir sehr wichtig scheint und der auf manches hindeutet. ich warf auf die gewöhnliche Weise das farbige sogenannte Spectrum solis an die Wand und brachte einen in Bologna zubereiteten Leuchtstein in den gelben und gelbrothen Theil des Farbenbildes, uns fand zu meiner Verwunderung, daß er darauf im Dunkeln nicht das mindeste Licht von sich gab. Darauf brachte ich ihn in den grünen und blauen Theil, auch alsdann gab er im Dunkeln kein Licht von sich, endlich nachdem ich ihn in den violetten Theil legte, zog er in dem Augenblicke Licht an und leuchtete sehr lebhaft im Finstern. Ich habe diesen Versuch sehr oft in Gegenwart mehrerer Freunde wiederholt, und er ist immer gelungen. An schönsten macht er sich, wenn die Sonne hoch steht, da man denn das farbige Bild auf den Fußboden der dunkeln Kammer werfen kann. man legt zwei Stücke Leuchtstein, das eine in die gelbrothe, das andere in die blaurothe Farbe, und schließt im Augenblick die Öffnung im Fensterladen. Es wird alsdann nur ein Leuchtstein glühend erscheinen, und zwar, wie oben gesagt, derjenige, der auf der blaurothen Seite gelegen.

Ich habe diesen Versuch schon sehr vermannichfaltigt und werde ihn sobald als möglich wiederholen und ihn weiter durcharbeiten. ich wage nichts daraus weiter zu folgern, als was er gleichsam selbst ausspricht: daß nämlich die beiden einander gegenüberstehenden [318] Farbenränder eine ganz verschiedene Wirkung, ja eine entgegengesetzte äußern, und da sie beide nur für Erscheinung gehalten werden, einen solchen reellen und ziemlich lange daurenden Einfluß auf einen Körper zeigen. ich hoffe auf diesem Wege manches noch zu finden, das mir Ihre Theilnehmung noch mehr versichern wird. Leben Sie recht wohl und nehmen Sie mit den Beilagen vorlieb; theilen Sie Herrn Forster diesen Brief mit, wie ich ihn ersucht habe Ihnen den seinigen zu zeigen.

Ich habe Hoffnung Sie bald zu sehen, worauf ich mich freue.

Weimar den 2. Juli 1792.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1792. An Samuel Thomas von Sömmerring. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-923B-3