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An Kaspar von Sternberg

Wenn ich schon von manchen Seiten her verschiedentliche Kenntniß erlangte von dem, was in München vorgefallen, so betraf doch solches mehr das Äußere, welches denn ganz stattlich und ehrenvoll anzusehen war, als das Innere, die Mittheilungen nämlich selbst. Hier kommen mir denn die Vorlesungen des würdigen Freundes, von deren Inhalt ich schon vorläufig unterrichtet war, als ein vorzüglich leuchtender Stern entgegen, wenn des Übrigen, mit wenigen Ausnahmen, nur als anmaßlicher Äußerungen und langweiliger Nachklänge gedacht wurde.

Um so erwünschter ist es mir, aus zuversichtlicher Quelle zu vernehmen, daß wenigstens der Hauptzweck des näheren Bekanntwerdens und zu hoffenden wahrhaften Vereinigens unserer Naturforscher nicht verrückt worden. Schon daß man sich über den Ort vereinigt, wo man das nächste Jahr zusammen zu kommen gedenkt, gibt die besten Hoffnungen, und gewiß ist die Versammlung in Berlin, unter den Auspicien des allgemein anerkannten Alexander v. Humboldt, geeignet, [184] uns die besten Hoffnungen einzuflößen. Aus dem Norden werden auf alle Fälle mehrere Glieder sich einfinden; ließe sich's veranlassen, daß böhmische und österreichische Männer hinzuträten und alsdann für das folgende Jahr die Gesellschaft sich unter dem Vorsitz des verehrten Freundes in Prag versammelte, so wäre der größte Schritt gethan, welcher zur Annäherung der verschiedensten deutschen Völkerschaften und zu deren Zusammenwirken den gründlichsten Anlaß gäbe.

Was den politischen Punct betrifft, so würde ich einem Staatsmanne sagen: grade jetzt, da eine unselige Schrift (des Joh. Wit) die widerwärtigsten Geheimnisse aufdeckt und dergleichen noch mehrere folgen werden, ist es klug, die wissenschaftlichen Notablen einer Nation auch einmal bey sich zu versammeln, zu versuchen, inwiefern man Zutrauen zu ihnen gewinnen, ihnen Zutrauen einflößen könne; man würde gewiß Vortheil davon ziehen und, wenn man ihnen den Hellenismus nachgäbe, gar wohl bemerken: daß man in neuerer Zeit vor eigentlichen Verschwörungen und Erschütterungen bey uns wohl gesichert sey.

Indessen machen die Herren vom Globe meinen friedlichen und zutraulichen Gesinnungen ein böses Spiel. Ich hoffte, sie sollten sich der nach Auflösung der Deputirten-Cammer wieder eintretenden Preßfreyheit mit Mäßigung bedienen und wie zeither mit geistiger geschmackvoller Freyheit die Angelegenheiten behandeln, wie solches auch ihrer Stellung gar wohl[185] geziemt hätte; aber man sieht aus dem Hergange, daß hier an keine Mäßigung, noch viel weniger an Composition zu denken sey; denn sie betragen sich seit dem 8. November außer allem Maaße, in einer Art, die auch ihr bester Freund nicht billigen kann. Indessen ergibt sich aus diesem Symptome, daß bey den vorseyenden Wahlen eine Art von Kampf auf Leben und Tod eintrete, wo wir denn den Erfolg freylich nur zu erwarten haben. So versank ja auch die ägyptische Flotte im Hafen von Navarin ohne unser Zuthun, so warfen vor so viel Jahren die Nordamerikaner die Theekisten in's Meer, und so wird es überall einen Bruch geben, wo der obschwebende Antagonism nicht aufzulösen oder noch eine Zeitlang hinzuhalten ist.

In denen mir übersendeten Heften der böhmischen Jahrbücher hat mich bis jetzt der kurze Abschluß über die so gründlich erfolgte und durchgearbeitete Angelegenheit unserer unterirdischen Flora am meisten ergötzt und erbaut; denn hier sehen wir doch einmal wieder Übereinstimmung und Mannichfaltigkeit, Gleich- und Nachzeitiges in großer Breite aufgehellt und wahrhaft belehrend.

Was die Versuche, die isothermen Linien zu bestimmen, betrifft, so bin ich völlig Ihrer Überzeugung. Es gibt Calculables und Incalculables, man stelle sich, wie man wolle, und es gehört mehr als Ein Maaßstab dazu, um sich in dem Unerforschlichen nur einigermaßen zu finden. Von der Nähe und Ferne [186] der Sonne hängt im Ganzen entschieden der Wärmegrad ab, er steigt und fällt, sich ruhig auf- und abbewegend, wie man an der graphischen Darstellung eines Jahrs sich am besten versinnlichen kann, zunächst folgt die Gebirgshöhe, und dann tritt eine Million Nebenbedingungen ein. Geht doch der Thermometer im gleichen Augenblicke verschieden in diesem und jenem Schatten eines und desselben Gebäudes. Doch lassen wir jene genauen Beobachter und Rechner ihr Geschäft betreiben und benutzen ihre Arbeit nach unsrer Art zu unsern Zwecken.

Von diesen und vielen andern Dingen mag ich gerne schweigen, aber ich empfinde tief das Glück dessen, der sich zu bescheiden und alles von ihm irgend Entdeckte zu irgend einem praktischen Lebensgebrauche hinzulenken weiß; wie denn die Engländer hierin unsre unnachahmliche Muster sind. Man erinnere sich nur, was seit Boulton und Watt von Kräften entdeckt und angewendet worden, bis Perkins auf das Gränzenlose gelangt ist. Ich habe nichts dagegen, daß man hier auch berechnet, aber zuletzt werden doch alle diese Maschinen nur organisch durch den praktischen Menschengeist, der zur Wirkung und Richtung nur durch Mäßigung sich befähigt.

Schade ist es fürwahr, daß man bey dem meteorologischen Heftchen eine freylich noch unvollkommenere Nachbildung der ersten unvollkommenen englischen Bildchen geliefert hat; es sind dieselbigen, von denen[187] ich mich durch fortgesetzte Naturbetrachtung nur mit Mühe befreyen konnte. Nicht leicht denkt man daran, daß dergleichen Darstellung symbolisch seyn müsse. Man tastet in der Natur herum und weiß vor dem Vielen nicht das Eine, Nothwendige zu finden. Ich lege meiner nächsten Sendung ein Dutzend Abdrücke der von mir behandelten Darstellung bey, und hätte, wär ich davon in Kenntniß gesetzt worden, gern Exemplare nach Verlangen gespendet, da die Platte derselben noch gar viele aushalten möchte. Freylich ist alles in's Engste zusammengebracht. Schon lange geh ich damit um, mich mit Herrn v. Froriep zu associiren, die Darstellung zwar ausführlich, aber doch nur so weit als zur einfachsten Belehrung nöthig wäre, auszuarbeiten und eine Klein-Folio-Platte auf einen größern Foliobogen abdrucken zu lassen, um nebenbey, wie man jetzt gar schicklich wieder thut, die eigentliche geprüfte Lehre an den Rand zu drucken. Allein das Schifflein geht so schnell den Strom hinab, daß man gar bald wieder die Bucht aus den Augen verliert, wo man zu landen gedachte.

Welch eine große Gabe Napoleons Leben von Walter Scott für mich seyn würde, habe ich seit der ersten Ankündigung gefühlt und deshalb die Men schen, wie sie auch sind, erst ausreden und ausklatschen lassen; doch enthalte ich mich nunmehr nicht länger und nehme das Buch getrost vor. Er ist 1771, gerade bey'm Ausbruch der amerikanischen Revolution, [188] geboren, ihm ist, wie mir das Erdbeben von Lissabon, so der Theekasten-Sturz bey Boston ein Jugendeindruck geworden, und wieviel Wundersames hat er als Engländer bey sich müssen vorübergehen lassen. Meine Betrachtungen darüber theil ich gelegentlich mit.

Auch schon vorläufig fand ich das Publicum sich betragend wie immer. Die Kunden erlauben wohl dem Schneider hier und dort ein gewisses Tuch auszunehmen, den Rock aber wollen sie auf den Leib gepaßt haben, und sie beschweren sich höchlich, wenn er ihnen zu eng oder zu weit ist; am besten befinden sie sich in den polnischen Schlafröcken des Tags und der Stunden, worin sie ihrer vollkommensten Bequemlichkeit pflegen können, da sie, wie wohl erinnerlich, sich gegen meine Wahlverwandtschaften wie gegen das Kleid des Nessus gebärdet haben.

Vorstehendes, welches schon einige Posttage liegen geblieben, möge denn, soviel auch noch zu sagen wäre, seinen Weg antreten und geneigtest aufgenommen werden. Der Verehrte Freund weiß zu sichten, zu ordnen, zu suppliren und zu verzeihen.

So eben nimmt der Druck des neuen Heftes von Kunst und Alterthum seinen Anfang, wo ich abermals gar manches als Surrogat freundschaftlicher mündlicher Unterhaltung anzusehen bitte. Der böhmischen patriotischen Monatsschrift wird daselbst nach Würden zu gedenken seyn.

Darf ich bitten, den Barometerstand des nun ablaufenden [189] Jahres am Schlusse desselben, wie solcher aus Brzezina ist bemerkt worden, mir in graphischer Darstellung zu übersenden? die gleichzeitigen Erscheinungen, auf der Sternwarte zu Jena aufgezeichnet, erfolgen sodann baldigst.

Die Vermehrung unsrer Familie um ein weibliches Mitglied wird mein Sohn zu vermelden und eine geziemende Bitte hinzuzufügen sich die Freyheit nehmen.

treu angehörig

Weimar 27. Nov. 1827.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Kaspar von Sternberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9250-2