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An Philipp Erasmus Reich

Franckf. am 20. Febr. 70.

Theuerster Herr Reich,

Es giebt gemischte Empfindungen, die Mendelssohn so richtig zeichnen, und Wieland so süsse mahlen kann, und von denen wir andre schweigen müssen. Davon war es eine die mich überfiel, als ich Ihren lieben Brief, mit dem angenehmsten Geschencke erhielt.

Nichts war mir neu. Denn dass Wieland so ein Autor ist, dass Sie so ein Verleger und so gütig gegen mich sind, das weiss ich seitdem ich Sie und [228] Wielanden kenne; allein in dem Grade! unter diesen Umständen! war mir alles neu. Meine Danckbaarkeit werden Sie leicht nach dem Werth Ihrer Freundschafft, nach der Fürtrefflichkeit des Buchs, und nach dem Vergnügen messen können, da das man in dieser Franckfurter Hungersnoth des guten Geschmacks, sehr lebhafft fühlen muss, wenn man ein neues Buch geschwind in die Hände kriegt. Und auch darum lasse ich meine Erkänntlichkeit gerne schweigen; denn wahrhafftig Sie müssten sehr müde werden Dancksagungen anzuhören, wenn Ihre besondere Gütigkeit, nicht gleich iedem den Sie verbinden, ein ehrfurchtsvolles Stillschweigen auflegte.

Oesers Erfindungen haben mir eine neue Gelegenheit gegeben, mich zu seegnen, dass ich ihn zum Lehrer gehabt habe. Fertigkeit oder Erfahrung vermag kein Meister seinem Schüler mitzutheilen, und eine Ubung von wenigen Jahren, Thut in den bildenden Künsten, nur was mittelmässiges; auch war unsre Hand, nur sein Nebenaugenmerck; er drang in unsre Seelen, und man musste keine haben um ihn nicht zu nutzen.

Sein Unterricht wird auf mein ganzes Leben Folgen haben. Er lehrte mich, das Ideal der Schönheit sey Einfalt und Stille, und daraus folgt, dass kein Jüngling Meister werden könne. Es ist ein Glück wenn man sich von dieser Wahrheit nicht erst durch eine traurige Erfahrung zu überzeugen braucht. Empfehlen Sie mich meinem lieben Oeser.

[229] Nach ihm und Schäckespearen, ist Wieland noch der einzige, den ich für meinen ächten Lehrer erkennen kann, andre hatten mir gezeigt dass ich fehlte, diese zeigten mir wie ichs besser machen sollte.

Meine Gedancken über den Diogenes werden Sie wohl nicht verlangen. Empfinden und schweigen ist alles was man bey dieser Gelegenheit thun kann; denn so gar loben soll man einen grosen Mann nicht, wenn man nicht so gros ist wie er. Aber geärgert habe ich mich schon auf Wielands Rechnung, und ich glaube mit Recht. Wieland tat das Unglück offt nicht verstanden zu werden, vielleicht ist manchmal die Schuld sein, doch manchmal ist sie es nicht, und da muss man sich ärgern wenn Leute ihre Missverständnisse dem Publiko für Erklärungen verkaufen. Jüngst sagte ein Recensent: die Rede vom Mann im Monde sey eine feine Satyre auf die Philosophie der damaligen Zeiten, und ihre Tohrheit. Wem könnte so was einfallen? – doch ia! Er hat einen Gesellschaffter an dem Uebersetzer des Agathon. Tableau des moeurs de l'ancienne Grece! So ohngefähr wird der Tittel seyn. Ich glaube der Mensch hielte das Buch für eine Archaiologie.

Ich weiss nicht ob sich Wieland auch drüber ärgert, wenigstens hätte er's Ursach.

Wenn Sie diesem grosen Autor, Ihrem Freunde schreiben, oder ihn sprechen, so haben Sie die Gütigkeit, ihm einen Menschen bekannt zu machen, der[230] zwar nicht Mann's genung ist seine Verdienste zu schätzen, aber doch ein genung zärtliches Herz hat sie zu verehren; mit dessen aufrichtigster Empfindung er sich auch nennt,

Ihren ergebensten Diener. Goethe. [231]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1770. An Philipp Erasmus Reich. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-925B-C