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An Charlotte von Stein

Gern hätte ich Ihnen, verehrte Freundinn, dieser Tage aufgewartet, um manches zu erzählen und zu bereden. Es geht mir aber nicht sonderlich und ich habe Ursache mich sehr in Acht zu nehmen.

Gegenwärtiges erlasse ich, um einen Vorschlag zu einer Mittwochs-Unterhaltung zu thun. Ein nordischer gelehrter Antiquarius, mit Namen Arendt, befindet sich hier, der aber nicht mit jenem moralisch politischen Arendt zu verwechseln ist. Der gegenwärtige hat ein unscheinbares, ärmliches äußeres Ansehen; doch ist er nicht unangenehm, vielmehr wenn man seine Originalität einmal zugiebt, ganz erfreulich. Sein Wesen und Wissen erinnert an Büttner und Beyreis, ob er gleich ihr Alter noch nicht erreicht hat. Er ist 1773. in Altona geboren, verdankt seine literarische Cultur [278] dem dortigen Gymnasium, von welchem er erst 1794 abging und im Jahr 96 nach Paris und der Lombardey reiste, um dort Reste der, durch frühere Wanderungen und Schicksale hinverpflanzten, nordischen Alterthümer auszusuchen. Im Jahre 97 ging er von Copenhagen zu Schiff nach Finnmarken und landete bey Hammerfest unter dem 71sten Grad nordischer Breite. Zehn Jahre brachte er in Norwegen und Schweden zu, studirte die Runen, copirte und ordnete sie und bemühte sich überhaupt um eine genaue Kenntniß der alten nordischen, besonders isländischen, Cultur und Literatur. Ihn beschäftigte die scandinavische Sprachlehre so wie die beiden Edden. Nachher hielt er sich in Mecklenburg und Pommern, wegen der wendischen Alterthümer auf, besuchte in der Gegend von Neubrandenburg die Stelle, wo Rethra, ein Hauptort eines alten Völkerstammes, gestanden haben soll, und wo man früher merkwürdige, halbgeschmolzene, eherne, größere und kleinere Götterbilder gefunden hatte. 1808 ging er zum zweyten Mal nach Paris und erneuerte seine Bekanntschaften.

Gegenwärtig kommt er von Bremen und hat einige interessante Alterthümer und Manuscripte bey sich.

Wäre es Durchlaucht der Herzoginn nicht ungefällig, so würde ich ihn Mittwoch vorführen, und die Unterhaltung so zu leiten suchen, daß er 1) von seinen Reisen erzählte, 2) von der isländischen Cultur des 11. und 12. Jahrhunderts einen Kurzen Vortrag [279] thäte, 3) von dem was uns daher übrig geblieben ist, Nachricht gäbe und Einiges vorzeigte. Sein ärmliches Äußere verschwindet dem Blicke gar bald, wenn man seinem bestimmten, lebhaften und heitern Vortrage zuhört. Ich erbitte mir bald eine gefällige Antwort, um mit ihm einige Einleitung treffen zu können.

Weimar den 16. Januar 1809.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1809. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-927A-8