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An den Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha

Durchlauchtigster Herzog
gnädigster Herr,

Bisher habe ich mitten unter Freuden in der schmerzlichsten Ungewißheit gelebt, wo sich Ew. Durchl. aufhalten und wie sich unsere gnädigste Herzogin befinden möchten. Die Zeitungen brachten uns die Nachricht von einer unterbrochenen Reise, von Hause konnt' ich nichts Gewisses vernehmen, bis sich endlich Prinz August über mich erbarmte und mir Ihre Ankunft in Hières versichert hat. So gehe denn dieses Blatt an diese schöne Küste, meinen gnädigsten Herrschaften meinen dreimonatlichen glücklichen und gesegneten Aufenthalt in Rom zu verkündigen. So viel von dieser Hauptstadt der Welt schon gesagt ist, so wenig getraue ich mir davon zu sagen. Da man sich einen großen Theil seines Lebens mit römischer Geschichte, römischen Alterthümern, römischem Rechte beschäftigt, da man durch Bücher, Künstler, Fabrikanten und Handwerker immerfort an diesen Mittelpunct erinnert, mit den hiesigen Gegenständen von allen Seiten bekannt wird, so bleibt Einem zuletzt nichts mehr übrig, als im Schauen die letzte Befriedigung zu suchen. Und die hab' ich denn mit so viel Tausend Andern in reichem Maaße gefunden. Ich habe alle Kräfte meines Geistes aufgespannt, um [172] die Zeit, die ich hier zugebracht, auf's Beste zu nutzen, ich habe wenigstens einen allgemeinen Begriff von der Stadt und dem, was sie enthält. Gewisse besondere Kapitel habe ich mir besonders empfohlen sein lassen.

Herr Hofrath Reifenstein erzeigt mir viele Gefälligkeiten, bei Tischbein habe ich meine Wohnung aufgeschlagen, und dieses Künstlerleben, dieser Künstlerumgang verschafft mir großen Nutzen, erleichtert mir das Studium und bringt mich in kurzer Zeit vorwärts. Diesen Ihren Künstler will ich nicht loben, das große Bild, das er für Ew. Durchl. unter Händen hat, mag von seinem unermüdlichen Fleiße zeugen. Es ist, wenn man in der Nähe zusieht, ein ungeheures Unternehmen, es gehört ein großer Muth und eine Begierde etwas Rechtes zu thun und zu lernen dazu, um so ein Werk anzufangen. Gewiß wird es Ew. Durchl. zur Freude gereichen, wenn ich Höchstdieselben benachrichtige, daß Ihro Maj. die Kaiserin von Rußland einige Bilder bei ihm bestellen lassen, es ist Einiges von ihm durch einen Grafen Wiesen nach Petersburg gekommen.

Da mir hier so manches Gute, wenn ich es recht betrachte, durch Ew. Durchl. Gnade zu Theil wird, so wünschte ich nichts lebhafter, als Höchstdieselben auch hier zu verehren. Ich zähle eine Wiedergeburt von dem Tage an, da ich Rom betrat; ich lebe eine neue Jugend, der ich mich immer mit den größten Freuden erinnern werde. Der Wunsch, [173] dieses Glück mit denen zu theilen, an die mein Gemüth so sehr geheftet ist, wird fast täglich in mir lebhaft. Nach geendigtem Carnevale denke ich nach Neapel zu gehen. Darf ich bitten, mich der Durchl. Herzogin, von deren besserm Befinden ich sehnliche Nachricht erwarte unterthänigst zu Füßen zu legen!

Ew. Durchl. unterthänigster

Rom, den 6. Febr. 1787.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1787. An den Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9298-4