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An August von Goethe

Indem ich dir mein lieber Sohn, abermals einige Kenntniß von meinen Zuständen geben möchte, drängt mich beynahe die Leidenschaft, dich von jenem Ultra-Vulkanisten zu unterhalten; es ist aber gar zu toll und doch zu fein, ich vermuthe, es stickt eine Schelmerey darhinter. Dieß sey also ausgesetzt, bis wir wieder einmal gegen Mitternacht ein Glas Wein zusammen trinken. Das Wetter mag hier seyn wie es will, wenn es nur wechselhaft und sich nicht, wie voriges Jahr, in vollkommenen Regen bestätigt, so bleibt es immer unterhaltend. Die Wolkenerscheinungen sind in dieser Höhe von der größten Schönheit und Mannichfaltigkeit, besonders da man sie meist alle zusammen auf einmal beobachten kann. Eben jetzt zum Beispiel stehen die leichtesten Cirrus am Himmel in Osten, indessen ein mächtiges Gewitter in tieferer Region bedenklich einherzieht.

Meine übrigen Arbeiten gehen mäßig fort. Indem ich täglich zweymal trinke, über den dritten Tag bade, so bringt dieß eine Bewegung und Erschütterung in den Organismus, wo der Geist doch nicht ganz Herr[89] und Meister bleibt; deswegen ich denn die guten Stunden auszusparen habe.

Ich wohne so schön und schöner als voriges Jahr, denn ich bediene mich zugleich eines Altans, der seiner Anlage nach ganz unschätzbar wäre, wegen der Zugluft aber kaum zu brauchen ist. Indessen ist die Steinsammlung wieder aufgefunden, methodisch gereiht und, durch Stadelmanns Thätigkeit complettirt, doppelt und dreyfach aufgebreitet.

Graf Sternberg, der von meinem Hierseyn durch mich selbst und durchreisende Freunde unterrichtet worden, will den 11. hier eintreffen, findet in unserm Hause Quartier und ich nehme gewiß diese Gelegenheiten wahr, um mich mit allen Bedingungen jener bedeutenden Steinkohlenformation so wie deren Pflanzenüberreste bekannt zu machen. Ich werde Sorge tragen, daß deiner Sammlung, welche geordnet seyn wird, die schönsten Beyträge geliefert werden.

Herr Hauptmann von Seebach ist angekommen und hat mir dein Packet überbracht, worin mich Zelters Brief besonders erfreut hat. Man muß ihm nachsagen, daß er tüchtig ist in aller Art, und in diesem Falle bleibt es merkwürdig genug, daß der Minister eine Reise bezahlt, um vierzig Meilen einen alten Musikverständigen aufzusuchen und unterwegs die sämmtlichen Singanstalten zu visitiren. Sie haben freylich zu großen Zwecken auch großes Geld zu verwenden.

[90] Mein letzter Brief gab dir schon den Auftrag, an Dumont die beiden Loose zurückzuschicken, die ich in der kleinen Schublade unter der linken Rollthüre meines Schreibtisches zurück ließ.

Grüße alles und hast du Gelegenheit, mich den höchsten Herrschaften zu empfehlen, so thue es und habe dich wohl. An Boisserée schreibe ich von hier aus direct.

treulichst

Marienbad den 7. Juli 1822.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1822. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-92A4-8