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An Carl Friedrich Zelter

Also zuvörderst Glück zur verherrlichten Liedertafel! Es ist doch recht schön, daß Fürst Radziwill dem Könige bekannt macht und genießen läßt des mannichfaltigen Guten was er um sich hat. Sodann aber den schönsten Dank für die liebreiche Bewirthung des werthen Kindes; sie ist glücklich angekommen und erzählt recht viel. In ihrer guten und natürlichen Art sieht sie die Dinge recht klar und deutlich und natürlichen Art sieht sie die dinge recht klar und deutlich, und so bleiben sie auch vor ihr stehen, immer als gegenwärtig; man kann nicht sagen, daß sie urtheilt, aber sie vergleicht gar einsichtig. Es wundert mich, daß sie nicht gleich geschrieben hat, denn sie ist in Gedanken und immerfort bey euch. Grüße Doris zum schönsten und danke ihr für freundliche Theilnahme, Förderniß und Geleit.

[282] Von unserer Großherzogin kann ich nur sagen, daß Bewunderung und Verehrung gegen sie immer mehr wachsen muß; sie ist zweymal gefallen, jedesmal mit bedeutender Beschädigung, ist sich aber immer selbst gleich, wankt und weicht nicht von ihrer Art und Weise; daneben macht sie sich zum Geschäft, die tanz- und festlustige Jugend in Bewegung zu erhalten und, selbst leidend, andern Freude zu machen. Sie besucht mich die Woche gewöhnlich einmal, da ich mich denn jederzeit vorbereite, irgend etwas Interessantes vorzulegen, wo denn ihre ruhige gründliche Theilnahme an Gegenständen aller Art höchst ergötzlich und belohnend wird.

Ich selbst habe mich diesen Winter sehr stille hingehalten, aber doch zuletzt einem Katarrh nicht entgehen können, den ich denn auch bey dem allerschönsten Wetter bald los zu werden gedenke.

Wenn du Freund Seebeck siehst, so entschuldige mich auf's beste, daß ich nicht geschrieben. Eine briefliche Wirkung in die ferne wird mir beynahe unmöglich, und ich muß mich schon recht zusammennehmen, wenn ich das, was täglich auf mich eindringt, beseitigen will. Wenn man denkt, wie viele Fäden durch ein langes Leben sich anknüpfen und anspinnen, so sollte man sich sagen, man habe daran genug, und doch unterläßt man nicht, bey Gelegenheit wieder nach einem Neuen zu greifen, wie man's in der Jugend gethan, und da wird denn die [283] Obliegenheit des Tagewerks bey abnehmenden Kräften zuletzt gar läßtig.

Die Meinigen sind alle wohl und munter, die Enkel besonders ohne Tadel, daß neu emporstrebende Leben nicht in seiner ersten Blüthe, wo sogar die Mängel unserer Natur anmuthig erscheinen.

Zu Jubilate kommt allerlei was ich den Freunden im Stillen bereite. Möge jeder sein Theil wohlwollend empfangen.

Meine Gegner irren mich nicht, wer müßte dieß nicht in der Welt, besonders aber in Deutschland gewohnt werden! Die edlen physischen Widersacher besonders kommen mir vor wie katholische Pfaffen, die einen Protestanten aus dem tridentinischen Concilium widerlegen wollten.

Schubarth ist ein merkwürdiger Mensch; es ist schwer vorauszusagen, wohin es mit ihm gedeihen kann. Bey der jetzigen Lage der Literatur überhaupt, besonders der in alles ein- und übergreifenden deutschen, arbeiten sich geistreiche junge Männer schneller empor zu klarer Übersicht und merken nur allzufrüh, daß urtheil keine sonderliche Befriedigung gibt. Sie fühlen daß man produciren müsse, um sich und andern einigermaßen genug zu thun. Das ist aber nicht einem jeden gegeben, und so hab ich die besten Köpfe mit sich selbst uneins gesehen.

Die drey Kupferstiche waren sehr willkommen, da ich den Meister höchlich schätze. Das größere stellt[284] auf eine wunderliche Weise das Manna des Wüstenzuges vor. Die Wüßte wird man freylich nicht gewahr, ein dichter Wald, ein Landhaus in der Nähe möchte wohl die Gabe des Himmels nicht so gar nothwendig machen. Genau besehen hat der Künstler blos auf die menschlichen Motive reflectirt: emsiges Auflesen, dazu ist ihm eine Figur in der Mitte genug; freudiges kräftiges Auspacken beschäftigt die Begünstigten zu unserer Linken, welches zwar rechter Hand wiederholt ist, aber nur subaltern, indem hier ein weiser Mann die Hauptrolle spielt, welcher das Geschäft zu leiten scheint. Und in diesem Sinne ist es köstlich componirt, daß auch nicht das Mindeste daran auszusetzen seyn möchte.

Das zweyte kleinere, von vortrefflicher Composition vieler Figuren, ist ohne Zweifel ein Sabinerraub. Das dritte wissen wir nicht zu dechiffriren; vor einem leeren Thron, den ein langbemantelter Greis zu bewahren scheint, stehen gebundene Krieger in demüthiger Stellung; der Hauptgedanke ist ganz sublim, nur läßt sich der Zusammensetzung vorwerfen, daß ein Arm zwey Gefangenen angehören und den linken des einen, den rechten des andern vorstellen kann. So etwas entwischt auch einem außerordentlichen Manne; Raphael jedoch hat sich dergleichen nie zu Schulden kommen lassen.

Ferner muß ich vermelden, daß deine Gabe noch einer anderen trefflichen vorausgegangen. Ich habe[285] nämlich einen sechszölligen Bacchus von Bronze zum Geschenk erhalten; ein militärischer Freund brachte ihn von der Expedition nach Neapel mit. Es mag ihm ein uraltes Vorbild der besten Zeit zum Grunde liegen; aber auch diese flüchtige Nachbildung darf man nicht später als in die Zeiten der Antonine setzen. Und so kommt denn manches zusammen und es ist freylich sehr hübsch, da mir diese Dinge noch immerfort den größten und reinsten Antheil abgewinnen.

Nun muß ich aber nochmals zu dem größern Polidor zurückkehren. Freund Meyer, im Aufziehen von Kupfern und Zeichnungen unübertrefflich, hat auch dieses Blatt ganz herrlich hergestellt. Nun konnte man es erst nach seinem ganzen Werth überschauen, da alle Runzeln ausgeglichen waren, und da fand sich denn, daß ich es oben falsch ausgelegt. Es sind nämlich nach wie vor die Kinder Israel und das Manna; allein das Auflesen, als eine kleinliche Handlung, hat der Künstler ganz beseitigt, nur das Wegtragen einer kostbaren gewichtigen Gabe dargestellt; denn selbst die knieende Figur im Mittelpuncte liest nicht auf, wie ich erst dachte, sondern sie ist mit aller Kraft bemüht, das Gefäß von der Erde zu heben. Alle andere Figuren zeigen stufenweis dieselben Bemühungen, es ist keine Figur, der man nicht Anstrengung ansähe, und doch ist alles höchst gefällig und lieblich.

Ich bemerke, daß diese Gemälde außen an Häusern[286] braun in braun angebracht waren, wovon glücklicherweise zu verschiedenen Zeiten Nachbildungen besorgt worden. Zu meiner Zeit waren in der Gegend des Palasts Lanzelotti noch einige dergleichen mehr oder weniger sichtbar.

Damit du mich aber nicht für allzu wunderlich hälst, daß ich oben jede briefliche Mittheilung ablehne und nun mehrere Blätter absende, so sag ich, daß seit vierzehn Tagen ich von einem rheumatischen Übel befallen worden, wo ich, zu jedem Geschäft untauglich und durchaus unmuthig, die Gegenwart eines Freundes herbeyrief, mich mit ihm zu unterhalten; dieses geschah nun dictando wie vorsteht, welches absende mit der Nachricht, daß es um vieles besser geworden.

treulichst

Weimar den 23. März 1822.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1822. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-92BD-1