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An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, Januar 1773.]

Kann nicht unterlassen mit heutiger Post noch an Hochdieselben einige Zeilen zu senden Sintemalen wir heute mit Blaukraut und Leberwurst unser Gemüth ergötzt. Werden das abenteuerliche Format verzeihen, wenn Denenselben attestire, dass es stehenden Fusses in dem Zimmer der so tugendbelobten Mamsell Gerocks gefertiget wird. Dienet sodann zur freundlichen Nachricht, dass wegen gesternabendigen unmässiglicher Weisse zu uns genommenem Wein, die cristliche Nachtruhe durch mancherley so seltsamlich als verdrüssliche Abenteuer genecket und gestört worden Versetzte uns nähmlich [53] ein guter Geist zuerst nach Wetzlar in den Cronprinzen zwischen Gesprächige Tischgesellschafft die der leidige Teufel auf die noch leidigere Philosophey zu diskuriren brachte, und mich in seine Schlingen verwickelte, bald darauf fiel mir schweer aufs herz ich habe Lotten noch nicht gesehen, eilte zu meiner stube, den Hut zu holen, die ich denn nicht finden konnte sondern durch Kammern, Säle, Gärten, Einöden, Wälder, Bilderkabinets, Scheuern, Schlafzimmer Besuchzimmer Schweinställe, auf eine unglaublich wunderbare Weise mit geängstigten Herzen herumgetrieben wurde, biss mich endlich ein guter Geist in Gestalt des Cronprinzen Caspars an einer Galanteriebude antraf und über drey Speicher und Kornböden vor mein Zimmer brachte, wo denn zum Unglück sich kein Schlüssel fand, dass ich mich resolvirte über ein Dach und Rinne zum Fenster hineinzusteigen. Gefahr und Schwindel und fallen und was folgt. Genug ich habe Lotten nicht zu sehn gekriegt. Also dass gegen Morgen erst in einen süsen Schlaff fiel und gegen halb neun erst mein Bette verlies.

Wenn nun übrigens Hochdieselben an das hl. Römisch Reichs Gerechtigkeits Purifications Wesen manche Feder verschaben, und von dem Gekrize und Gekratze in dem heiligtuhme des deutschen Orden sich erholen, wenn meine Buben noch über einander kabeln wie iunge Katzen, Albrecht bald die Continuation des Cristen in der einsamkeit herausgibt. Georg bald [54] versifizirt wie Gotter Und die Grosen sich zu Phisica glücklich hinan chriisiren und analysiren


Wenn dem Papa sein Pfeifgen schmeckt
Der Doctor Hofrath Grillen heckt
Und sie Carlingen für Liebe verkauft
Die Lotte herüber hinüber lauft
Lenchen treuherzig und wohlgemuth
In die Welt hineinlugen tuht.
Mit dreckigen Händen und Honigschnitten
Mit Löcher im Kopf, nach deutschen Sitten
Die Buben jauchzen mit hellem Hauf
Tühr ein Tühr aus, Hof ab Hof auf
Und ihr mit den blauen Augelein
Gucket so ganz gelassen drein
Als wäret ihr mänlein von Porzellan,
Seyd innerlich doch ein wackrer Mann,
Treuer liebhaber und warmer Freund,
So last des Reichs und Cristen feind
Und Russ und Preuss und Belial
Sich teilen in den Erdenball
Und nur das liebe teutsche Haus
Nehmt von der grosen Teilung aus
Und das der Weeg von hier zu euch
Wie Jakobs Leiter sey sicher und gleich.
Und unser Magen verdau gesund.
So seegnen Wir euch mit Herz und Mund
Gott allein die Ehr
Mir mein Weib allein
So kann ich und er
Wohl zufrieden seyn.
[55]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1773. An Johann Christian Kestner. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-92C9-5