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An Charlotte von Stein

[Berlin, Potsdam, Dessau, 17. – 24. Mai 1778.]

Berlin. Sontag d. 17. Abends. In einer ganz andern Lage als ich Ihnen den Winter vom Brocken schrieb, und mit eben dem Herzen wenige Worte. Ich dacht heut an des Prinzen Heinrichs Tafel dran dass ich Ihnen schreiben müsste, es ist ein wunderbarer Zustand eine seltsame Fügung dass wir hier sind. Durch die Stadt und mancherley Menschen Gewerb und Wesen hab ich mich durchgetrieben. Von den Gegenständen selbst mündlig mehr. Gleichmut und Reinheit erhalten mir die Götter aufs schönste, aber dagegen welckt die Blüte des Vertrauens der Offenheit, der hingebenden Liebe täglich mehr. Sonst war meine Seele wie eine Stadt mit geringen Mauern, die hinter sich eine Citadelle auf dem Berge hat. Das Schloss bewacht ich, und die Stadt lies ich in Frieden und Krieg wehrlos, nun fang ich auch an die zu befestigen, wärs nur indess gegen die leichten Truppen.

Es ist ein schön Gefühl an der Quelle des Kriegs zu sizzen in dem Augenblick da sie überzusprudeln droht. Und die Pracht der Königstadt, und Leben und Ordnung und Überfluss, das nicht wäre ohne die tausend und tausend Menschen bereit für sie [224] geopfert zu werden. Menschen Pferde, Wagen, Geschüz, Zurüstungen, es wimmelt von allem. Der Herzog ist wohl, Wedel auch und sehr gut. Wenn ich nur gut erzählen kan von dem grosen Uhrwerck das sich vor einem treibt, von der Bewegung der Puppen kan man auf die alte Walze Thlr. [als Symbol] gezeichnet mit tausend Stiften schliesen die diese Melodieen eine nach der andern hervorbringt.

Berlin d. 19. Wenn ich nur könnte bey meiner Rückkunft Ihnen alles erzählen wenn ich nur dürfte. Aber ach die eisernen Reifen mit denen mein Herz eingefasst wird treiben sich täglich fester an dass endlich gar nichts mehr durchrinnen wird. – Wenn Sie das Gleichniss fortsezzen wollen, so liegt noch eine schöne Menge Allegorie drinn.

So viel kann ich sagen ie gröser die Welt desto garstiger wird die Farce und ich schwöre, keine Zote und Eseley der Hanswurstiaden ist so eckelhafft als das Wesen der Grosen Mittlern und Kleinen durch einander. Ich habe die Götter gebeten dass sie mir meinen Muth und grad seyn erhalten wollen biss ans Ende, und lieber mögen das Ende vorrücken als mich den lezten theil des Ziels lausig hinkriechen lassen. Aber den Werth, den wieder dieses Abenteuer für mich für uns alle hat, nenn ich nicht mit Nahmen. – Ich bete die Götter an und fühle mir doch Muth genug ihnen ewigen Hass zu schwören, wenn sie [225] sich gegen uns betragen wollen wie ihr bild die Menschen.

[Donnerstag.]

Potsdam d. 21. Durch einen schönen Schlaf hab ich meine Seele gereignigt. Gestern Abend sind wir wieder hier angekommen. Wir wollen uns noch umsehen und dann wohl morgen weiter, Mein Verlangen steht sehr vorwärts nach hause.

Dessau Sonntag d. 24. Endlich kann ich Ihnen die Zettelgen schicken und Ihnen sagen dass ich Sie immer lieb habe, mich wieder nach Hause sehne obgleich auch in der weiten Welt alles nach Wunsch geht. Hier haben Sie auch wie mich die Karschin beverset hat. In Leipzig werd ich Ihre Briefe wohl nicht abholen, wir gehn über Alstädt nach hause. Sagen Sies aber nicht weiter. Wenn der Herzog sich Pferde entgegen schicken lässt schicken Sie mir doch auch ein Zettelgen mit. Adieu liebe. Grüsen Sie die Waldnern und Steinen.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1778. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-92D8-3