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An Carl Friedrich Zelter

»Wer will der muß!« und ich fahre fort: wer einsieht der will. Und so wären wir wieder im Kreise dahin gelangt wo wir ausgingen daß nämlich man aus Überzeugung müssen müsse; für die nächst folgende Zeit können wir daher viel Gutes hoffen.

So manches auf Kunst und Wissenschaft bezüglich kommt mir fast täglich vor die Augen, darunter wäre nichts Falsches wenn der Mensch nicht schwach wäre und er nicht zugleich das was für ihn das Letzte ist auch für das Letzte halten wollte. Überhaupt aber begegnen mir sehr viel schöne, reine, hohe Ansichten. Man läßt gelten was man nicht erreichen kann, man freut sich des was man nicht zu thun im Stande wäre wie denn doch am Ende jeder tüchtige Mensch verfahren muß um selbst etwas zu seyn, um nach seiner Weise zu wirken, was auch Dilettanterey und damit nothwendig verknüpftes Nivelliren, im Laufe des Tages verderben oder hindern mag. Am Ende stellt sich alles her, wenn derjenige welcher weiß was er will und kann, in seinem Thun und Wirken unablässig beharrt. Du weißt es am besten und erfährst es jeden Tag.

Von einigen Werken bildender Kunst, die mir zunächst in's Haus gekommen sind und auf deren Werth [255] ich mich im Augenblick stütze, fühl ich mich gedrungen Folgendes zu vermelden. In Rom wohnte ich im Corso, dem Grafen Rondanini gegenüber; dieser besaß, nebst andern herrlichen Kunstwerken das Angesicht, die Maske einer Meduse, über lebensgroß, aus weißem Marmor, von merkwürdiger Vortrefflichkeit. Wir Künstler und Kunstgenossen besuchten sie oft, ja ich hatte sogar einen guten Abguß derselben auf meinem Saale stehen. Diesen Anblick, der keineswegs versteinerte sondern den Kunstsinn höchlich und herrlich belebte, entbehrte ich nun seit vierzig Jahren, wie so manches andere Große und Schöne töne. Endlich vernehme daß sie mir so viel näher, daß sie nach München gerückt sey, und wage den kühnen Wunsch einen Abguß davon zu besitzen. Dieser ist nicht zu gewähren, aber ein trefflich erhaltener Abguß, auf Ihro des Kronprinzen Hoheit Befehl von Rom verschrieben, wird mir nun durch die Gunst Ihro Majestät des Königs.

Da es verpönt ist hierüber Worte zu machen sage nur soviel: daß ich durch diese sehnlich gehoffte Gegenwart über die Maßen glücklich bin und nur wünschte daß uns beiden verliehen wäre sie zusammen [zu] betrachten.

Doch erneut sie mir von einer Seite ein schmerzlich Gefühl, denn ich muß mir dabey wiederholen jener Zeit, da ich den Werth solcher Schätze nicht genugsam einsah, standen sie mir vor Augen; jetzt, [256] da ich sie auf einen gewissen Grad zu würdigen verstehe, bin ich getrennt von ihnen durch weite Klüfte.

Indessen mag es auch gut seyn! Denn man kommt doch in Gegenwart solcher Dinge, die zu größerer Zeit, durch mehrvermögende Menschen hervorgebracht worden, außer Geschick und Richte. Und selbst das verständige Bemühen, sich dadurch nicht zu einem falschen Streben hinreißen zu lassen, erweckt ein peinliches Gefühl, wenn es nicht gar damit endigt unsere Lebensthätigkeit zu verkümmern.

Und nun laß ich dir abschreiben was ich über ein späteres, in seiner Art hochzuverehrendes des Kunstwerk in diesen Tagen aufgesetzt habe:

Eine große sorgfältige Zeichnung von Julius Roman mit vielen Figuren, zum größten Theil wohl erhalten, ist eine köstliche Acquisition, ohne Zweifel das Original das Diana von Mantua in Kupfer gestochen hat. Christus vor der schönen Thüre des Tempels, nach Raphaels Vorgang mit gewundenen Säulen geschmückt. Er beruhigt warnend die neben ihm aufrecht stehende beschämte Ehebrecherin, indem er zugleich die pharisäischen Susannenbrüder durch ein treffendes Wort in die Flucht schlägt. Sie entfliehen so kunstgemäß tumultuarisch, so symmetrisch verworren daß es eine Lust ist, stolpern über die Bettler, denen sonst ihre Heucheley zu Gute kam und die für dießmal unbeschenkt auf den Stufen liegen. Der Federumriß ist von der größten Nettigteit und Leichtigkeit [257] und fügt sich dem vollkommensten Ausdruck. Siehe Bartsch peintre graveur Vol. XV. p. 334. Blat und Nachweisung finden sich gewiß in Berlin.

Allem Guten befohlen!

W. 21. Jan. 1826.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-92E5-3