22/6245.

An Caroline von Wolzogen

Beyliegendes, verehrte Freundinn, werden Sie als eine gefühlte Erwiederung des höchst schätzbaren Blättchens erkennen, das Sie mir zu senden die Güte hatten. Ich bitte um geneigte Beförderung und wünsche gute Aufnahme.

Ihre lieben Worte über meinen biographisch-poetischen Versuch haben mich sehr erquickt. Wie wohl thut mir's auf diese Weise mich wieder meinen abwesenden Freunden zu nähern und ihre Theilnahme aufzuregen. Gleich nach Empfang Ihres lieben Briefes[244] warf ich mich wieder auf jenes Werk in Gedanken. Vom zweyten Theil ist schon die Hüfte geschrieben, und die andere so ziemlich ausgedacht und zusammengestellt. Ich hoffe zu Michaelis sollen Sie ihn erhalten.

Seit einiger Zeit haben wir den jungen Herder hier gesehen, der Ihro Hoheit sein ganzes Glück verdankt. Meinem August hat der Herzog die Gnade erwiesen, ihn als Assessor in die Cammer zu setzen, wo er, nach seinem Talent und seiner Gemüthsart, ganz wohl placirt ist. Empfehlen Sie auch diesen dem Großherzoge als einen der Seinigen.

Wir, oder vielmehr unsere Damen, verlieren wahrscheinlich in diesen Tagen den Professor Schulze und Sie gewinnen ihn dagegen. Das Gute, was dieses Schriftchen enthält und was ihm mit Recht Beyfall verschaffen muß, wird in meinen Augen durch unselige Fratzen völlig wieder aufgehoben, umso mehr als er nicht die rechte, sondern die falsche Wirkung zum eigentlichen Zweck seiner Arbeit macht. Mit viel weniger Mühe und Aufwand hätte, er das Rechte sagen können. Wenn man etwas ehrlicher wäre, so müßte es einen verdrießen, daß bey jeder neuen bedeutenden Erscheinung, das Publicum durch solche unzulängliche und falsche Urtheile misgeleitet wird. Da es aber einmal scheint als wenn die wahre Einsicht nur wenig[245] Menschen zu Theil werden solle; so gewöhnt man sich nach und nach, darüber zu lächeln, und es gut seyn zu lassen.

Dieß bey Seite, so sagen Sie mir doch gelegentlich, was es für einen Stelle ist, die er dort bekleiden wird, und ob sie wirklich vortheilhaft für ihn ist: denn ich gönne ihm übrigens alles Gute. Wie sich jedoch ein Halb-Catholik unter den Ganz-Catholiken ausnehmen wird, bilde ich mir ein vorauszusehen, um so mehr als ich mit sehr verständigen Personen von der letztern Art vertraulich versprechen Gelegenheit hatte, und zu meinem Vergnügen fand, daß sie über diese neuere, im Protestantismus entsprungene religiöse Poesie und poetische Religion ziemlich so denken wie ich, und die von der alten Kirche und Schule.

Ich darf nicht schließen ohne Ihnen zu melden, daß ich durch unsere Theaterbedürfnisse, welche freylich täglich dringender und täglich weniger befriedigt werden, mich habe unvermerklicher Weise verleiten lassen, das Shakespearische Stück Romeo und Julia zu bearbeiten. Auf der Herzoginn Geburtstag wird es erscheinen und ich hoffe guten Effect davon. Die Maxime, der ich folgte, war das Interessante zu concentriren und in Harmonie zu bringen, da ich Shakespeare nach seinem Genie, seiner Zeit und seinem Publicum, viele disharmonische Allotria zusammenstellen durfte, ja mußte, um den damals herrschenden Theatergenius[246] zu versöhnen. Ich werde Ihre Frau Schwester bitten, daß sie Ihnen von der Aufführung eine Relation zusendet. Sie drückt sich über solche Dinge eben so gut aus, als sie darüber denkt.

Nun leben Sie recht wohl, empfehlen Sie mich Ihrer ganzen Umgebung, grüßen mir den lieben Adolph und erhalten mir Ihr Wohlwollen. Herzlich ergeben

d. 28. Jan.

Goethe.

1812.

[Beilage.]

[Concept.]

Wahrhaft rührend, geliebte Freundin, ist mir das Blatt von der Hand unsers verehrtesten Großherzogs. Wie sehr erkenne ich darin die Dauer jener Gesinnungen, die mich früher wo glücklich machten. Je mehr ich dankbar empfinde, wie viel ich diesem außerordentlichen Manne in meiner Jugend schuldig geworden, desto mehr freut es mich, daß Zeit und Entfernung, ja so mancher Wechsel der Dinge nichts an einem Verhältniß ändern konnten, das auf wahrem Grund gebaut war. Wie manchmal hatte ich gewünscht, gewisse Mittheilungen wieder anzuknüpfen; aber wie kann man sich einem solchen Manne mittheilen, als durch That. Empfehlen Sie daher mich ihm als den Seinigen. Wie fortdauernd er an diese zu denken und wie wohl er für sie zu sorgen weiß, habe ich noch neulich an dem Beispiel des jungen [247] Herders gesehen. Möge dem und Beschützer für so manches Gute noch so manche Freude werden.

Haben Sie ja die Güte mich Seiner Hoheit wiederholt zu empfehlen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Caroline von Wolzogen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-92E6-1