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An Sulpiz Boisserée

Kaum entwind ich mich heute fremden und einheimischen Andringlichkeiten um Ihnen wieder einmal ein herzliches Wort zu sagen. Die Nachricht von Ihrer Krankheit hat mich sehr betrübt. Für meine jüngsten Freunde, deren ich so mancher verlor, hege ich immer die meiste Sorge, denn leben heißt doch eigentlich nicht viel mehr als viele überleben; seyn Sie mir daher als Geneser auf's beste gegrüßt. Mögen wir alle den Winter glücklich überstehen! welches ich auch vorzüglich unserm Freund Meyer wünsche, dem ich gönne Ihre Schätze mit so theilnehmendem Sinn angeschaut zu haben.

Er hat mir mit der größten Wärme davon geschrieben. Mir war nicht gegönnt diesen freundlichen und einsichtigen Versammlungen beyzuwohnen, doch wird für uns alle manches Gute daraus entspringen.

Seitdem ich von Jena zurück bin, werd' ich mehr als immer hin und wieder gezogen, und diese neun Wochen hab' ich in ununterbrochener Thätigkeit zugebracht, wobey manches freylich geleistet wird, aber doch meistens die alte Legende eintritt, wo der Hausvater nahrhaften Brei, den er seinen Schnittern bestimmte, dem Propheten zur Löwengrube bringen muß. Daß mir die Churprinzessin von Hessen die Abbildung dieses Wunders in einer sehr ausführlichen[281] Federzeichnung von Hemskeerk verehrte war mir sehr ominos.

Aus einer Leipziger Kupfer-Auktion habe schöne Sachen, auf niederländische Schule bezüglich erhalten. Aus verschiedenen Kupfern nach van Mander darf ich schließen, daß ich eine unendlich reiche, reinliche Federzeichnung von diesem Künstler besitzen. Und so helf ich mir mit Brosamen durch indessen Sie Sich die fettesten Bissen auftischen. Den Christuskopf von Hemmling rühmt Meyer höchlich.

Doch hab' ich diese Tage auch ein sehr hohes Anschauen gewonnen. Ich fuhr bey'm heitersten Himmel spazieren und fühlte auf einmal Lust und Muth aus dem Stegreif in die weite Welt hinein zu rücken. Ich eilte nach Rudolstadt um die beiden Köpfe der Colossen von Monte Cavallo zu sehen, die schon seit zwölf Jahren, von mir ungeschaut, in Gypsabgüssen dort aufgestellt sind. Ich mußte freylich erstaunen und leider empfinden daß unser anschauendes Gedächtniß das Erhabene so wenig als das Schöne festzuhalten vermag. Zu diesem Abenteuer drängten mich, um den Anlaß zu bekennen, die Bemühungen, die ich mir um die äginetischen, athenischen und phigalischen Marmore gebe, um sie mir und andern anschaulich zu ma chen. Von den ersten hab' ich endlich Zeichnungen erhalten, von den zweyten Copien der in Paris befindlichen Zeichnungen, 1683 verfertigt, auch einige englische, theils ausführliche, theils nur andeutende[282] Werke; von den dritten die gestochenen Umrisse und die davon in unserm Industrie-Comptoir genommenen Copien.

Wie übrigens alles zusammentrifft, um der schon bekannten Geschichte der alten Kunst noch mehr aufzuhelfen, sie zu erläutern, zu bestätigen, ist sehr erfreulich und nöthigt mich die hieher bezüglichen Schriften von Hermann, Creuzer, Schelling, Wagner, Dallaway u.a. genauer durchzulesen, woraus viel zu nehmen ist; nur geht es leider in diesen Dingen wie nach heitern Tagen, die Meinungswolken und Grillennebel vergrauen gar bald Himmel und Horizont. Mich rührt es nicht, denn ich weiß recht gut auf welcher Seite ich stehe und welche Denkweise mir angemessen ist. Diese such ich in mir auszubilden, es sey an Natur oder Kunst, andere mögen anders verfahren, streiten werd ich niemals mehr.

Und nun lassen Sie mich auch von Ihrem und Ihrer Sammlung Schicksal sprechen, es liegt mir sehr am Herzen und im Sinn! Den Aufschluß möcht ich noch erleben. Daß Sie im Süden sich festsetzen mag sehr wünschenswerth seyn, im Norden sieht es gar zu babylonisch aus, und hätten wir andern uns nicht seit vierzig Jahren angesiedelt, verschanzt und gerüstet, so müßten wir auf und davon gehen. In Frankfurt kann freylich nichts werden! Lassen Sie mich von Zeit zu Zeit erfahren, wie Sie die Sache, nach Ihrer herkömmlichen Klugheit behandeln; [283] auch von den übrigen Geschäften vernehme gern etwas.

Das chromatische Problem betreffend, sag ich in Bezug auf meine erste Auslegung folgendes. Jedes Pigment, das unserm Auge als blau erscheint, hat entweder aufgestrichen einen weißen Grund unter sich, oder es bringt in seinem Staubzustande ihn mit sich; wie unter dem Safflor (Smalte) das gemalne feine Glas versteckt liegt, unter dem Ultramarin Alaunerde und andere. Die dunkelsten von beiden Pigmenten sind die schwersten, wie das tiefste Ultramarin und das Königsblau, sie führen vielleicht das meiste metallische mit sich. Die Aeschels und Asche sind die leichtesten und hellsten. Ich lege ein Stückchen blau Papier auf weißes gezogen bey, die blaue Mitte wird Ihnen in der Dämmrung grau, aber niemals, der Umgebung gleich, weiß erscheinen. (Das Blätchen folgt.)

Sehnsüchtig den morgenden Tag mit Ihnen zuzubringen.

W. d. 17. Octbr 1817.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-92F0-9