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An Kaspar von Sternberg

Hochgeborner Graf,
Hochverehrter Herr!

Wenn auf meiner dießmaligen Reise ich das Königreich Böhmen sich alles glücklich und wünschenswerth ereignete, so hätte ich mir statt der Nachcur nicht solche Nachwehen befürchtet, als mir das geneigte Schreiben ankündigt. Ew. Excellenz in Marienbad nicht erharrt zu haben, ist ein großes Mißgeschick, die mindeste Ahnung hätte mich zurückgehalten, und mir die unangenehmste Empfindung erspart. Mein gnädigster Herr, der sich Ihrer persönlichen Bekanntschaft erfreut, bedauert mich wahrhaft theilnehmend.

Das zweyte Heft erkenne höchlich dankbar und bedauere den Verlust des Künstlers, weil es gar viel heißen will, sich in solche Gegenstände einzuarbeiten, ja einzulieben, da denn der Ersatz immer schwer ist, wenn auch in Ihrer breiteren Kunstwelt sich wohl immer heranwachsende Talente finden.

Auch des guten Rhode Arbeiten in Breslau sind mir bekannt geworden und ich erfreue mich deren als [114] ein in dieser Regionen erst Einschreitender. Denn ob ich gleich früher von unsers wackern v. Schlotheim Bemühungen Kenntniß genommen habe und manches vor Jahren theils den öffentlichen Museen, theils meinem besondern, aus Manebach und Cammerberg bey Ilmenau, sowie auch von Wettin bey Halle zu verschaffen wußte, so ist mir doch erst durch Ew. Excellenz Verarbeitung dieses Gegenstandes ein freyerer Überblick über eine so merkwürdige Erscheinung geworden, wobey es mich höchlich freute, so manches Neue zu finden, was mit meinem ältern geognostischen Überzeugungen völlig übereinstimmt.

Der eigene Fall, daß Ew. Excellenz sogleich in mein Wohnzimmer eintraten und eine ganze Ladung von Steinen vorfanden, die Ihre Aufmerksamkeit an sich zog, ist denn doch auch höchst erfreulich. Die Serpentin-Brüche bey Einsiedel sind bekannt, daß aber der Serpentin in Pechstein überziehend so nah bey oder vielmehr über Marienbad zu finden sey, ist durch den wunderbarsten Zufall oder vielmehr durch die große Rührigkeit meines Reisegefährten entdeckt worden.

Die besondere Eigenheit dieses Pechsteins, daß er auch, obwohl in undeutlicher, doch sich wiederholender Form eines vierseitigen Obelisken (um nicht Phyramide zu sagen) angetroffen wird, war mir sehr erwünscht! da ich meine morphologische Grillen dadurch geschmeichelt fand.

[115] Was aber auch dem allen sey, so ist nun jetzt die Hauptsache, daß Hochdieselben mir erlauben, bey eintretendem Frühjahr anzufragen, wie Sie Ihren Sommer wahrscheinlich einzutheilen gedenken, damit ich mich einrichten könne, in Böhmen Denenselben gewiß zu begegnen.

Unmöglich ist mir's zu schließen, ohne meinen tiefsten Antheil an dem Carlsbader Unglück auszusprechen; seit vierzig Jahren hab ich diesen Ort, in seinem glücklich-bürgerlichen Zustande, gekannt; ob gleich die gereihten Schindeldächer, bey Süd- oder Nordwind, in hydrographischen Momenten, mich mit einer unauslöslichen Feuersbrunst bedrohten, und ihn hydrographisch recht wohl wußte, wie die Töpler Teiche, als ein Schwert am Pferdehaare, den ruhig dahinlebenden Bürgern und Curgästen über dem Haupt hingen. Nun ist es denn höchst lebenstörend, wenn wir das, was wir Vor- und Nachfahren allenfalls bedauerlich überweisen, nun selbst zu unserer Zeit an den Unsrigen, denn ich darf die guten Carlsbader wohl die Meinigen nennen, unerwartet erfahren müssen.

Ew. Excellenz verzeihen, daß ich so redselig werde! Es ist nicht blos die jenaische Einsamkeit, die mich nach außen gesprächig macht, sondern ich thue mir dabey etwas zu Gute, daß ich mich schreibend (oder vielmehr dictirend) gegen Hochdieselben als wie in der Gegenwart verhalte. Eben deshalb muß ich auch [116] bitten, daß einer fremden Hand verziehen werde, die leserlicher ist und schneller als die meinige und ohne die ich kaum eine Wirkung in die Ferne haben könnte.

verehrungsvoll

gehorsamst

Jena den 26. September 1821.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An Kaspar von Sternberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9370-3