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An den Herzog Carl August

[Ende Januar.]

Gnädigster Herr,

Nach der Antwort des Königs in Preusen Maj. worinn derselbe solche Gründe hinzulegen glaubt, die Ew. Durchl. bewegen sollen, ihm die verlangte Werbung in Ihren Landen zu gestatten, und es als gewiss anzunehmen scheint, dass man sich mit dem General Möllendorf besprechen und eine Auskunft zu treffen wissen werde, bleibt nach aller Überzeugung nichts übrig, als dass man eine baldige und feste Entschliesung fasse, welchen Theil man ergreiffen und wie man sich auf ein oder die andre Weise betragen wolle? Man hat vorläufig am besten zu seyn geglaubt wenn man beyde unangenehme Seiten gegenwärtiger Lage, natürlich gegen einander stellte, das zwiefache Benehmen wovon man eins zu wählen hat ohnübertrieben hinlegte, und die Folgen eines ieden überdächte, so weit man sie mit einem zwar uneingenommnen, aber freilich immer beschränckten Geiste vorauszusehen im Stande ist.

Gesezt also man fügt sich dem Begehren des Königs, so kan es entweder geschehen wenn man ihm die Werbung erlaubt, oder mit dem General Möllendorf auf eine gewisse Anzahl abzugebender Mannschafft übereinkommt, und auch diese entweder durch die Preusen [3] ausnehmen lässt oder sie selbst ausnimmt und sie ihnen überliefert.

Erwählt man das erste, so werden diese gefährliche Leute sich festsetzen und überall Wurzel fassen, sie werden auf alle Weise die beste iunge Mannschafft an sich zu ziehen suchen, sie werden mit List und heimlicher Gewalt eine grose Anzahl wegnehmen, sie werdens an nichts fehlen lassen selbst die Soldaten Ew. Durchl. untreu zu machen.

Will man mit dem General Möllendorf auf eine gewisse Anzahl übereinkommen, und ihnen etwa selbst überlassen die iunge Mannschafft nach gewissen zu fertigenden Verzeichnissen aus den Ämtern auszuheben, so kan man nicht versichert seyn dass es dabey bleiben wird. Ein und der andre der es merckt wird austreten, sie werden statt dessen nach andern greifen, es werden Händel entstehen, und sie werden davon Anlas nehmen, was man mit ihnen ausgemacht hat zu überschreiten.

Will man endlich sich entschliessen eine Auswahl selbst zu machen und ihnen die Leute auszuliefern; so ist darinn wohl fürs ganze das geringste übel aber doch bleibt auch dieses, ein unangenehmes verhasstest und schaamvolles Geschäfft. Und wahrscheinlich ist man mit allem diesem doch nicht am Ende des Verdrusses. Diese mit Gewalt in fremde Hände gegebne Leute, werden in kurzem desertiren und in ihr Vaterland zurückkehren, die Preußen werden sie wieder fordern, [4] im Fall sie fehlen, austreten oder sich verbergen, an ihrer Stelle andre wegnehmen. Diese Plage wird mit iedem Herbste wiederkommen. Wie sie sich gewiss auch nicht begnügen werden, wenn man ihnen einmal Mannschafft stellt, mit ieden Frühiahr werden sie diese Anforderungen erneuen.

Dagegen wird man von kayserlicher Seite diesen Schritt den man so sehr wider willen gethan gewiss übel aufnehmen. Man wird sie niemals überreden können dass man so nothgedrungen, und so ungern eine solche Entschliesung ergriffen hat. Der alte Verdacht den man gegen die sächsischen Häuser hegt, dass sie wenig Neigung für das Östreichische haben, wird wieder rege werden, und es wird dem kayserlichen Hofe an Gelegenheit nicht fehlen, dem fürstlichen Haus manches unangenehme fühlen zu lassen. Das nächste was zu befürchten steht, ist dass sie gleichfalls Werbung in den fürstlichen Landen einzulegen verlangen, so dass man von beyden Seiten wird gedrängt seyn und die oben hererzählte Verdrüsslichkeiten doppelt, ia dreyfach auszustehen haben wird, weil dieser Theil alsdenn wohl nicht mit Schoonung verfahren mag, die man doch immer von den Preussen wenn man mit ihnen übereinkommen wollte, zu hoffen hätte.

Will man nun um diesem Übel auszuweichen die andre Seite ergreifen, und des Königs Gründen womit er seinen Antrag unterstüzzt kein Gehör geben, so würde man folgende Maasregeln zu ergreifen haben.

[5] Gegenwärtig kan man stille seyn und abwarten, was der General Möllendorf entweder schrifftlich oder durch einen Offizier hierher gelangen lässt, da er auf das lezte an ihn erlassne Schreiben noch eine Antwort schuldig ist. Nach den neusten Nachrichten befindet er sich mit seinem Chor wieder in Böhmen, der Leutnant Reinbaben ist abgegangen und der Leutnant Monteton trifft wohl vor Ende des Monats nicht wieder ein; dadurch scheint man eine kleine Frist zu gewinnen, die man ia wohl zu nuzzen hat.

Zuerst wird man an Hanover, Maynz, Gotha, die übrigen Sächsischen Höfe schreiben, und ihnen vorlegen, dass es Ew. Durchl. bey gegenwärtigen Umständen, Pflicht, Gesinnung und Wunsch sey, Ihre Lande und Unterthanen vor den Beschweerden des benachbaarten Kriegs auf das möglichste zu schüzzen, und an denen öffentlichen Angelegenheiten keinen Theil als gesammt mit den übrigen Ständen des Reichs zu nehmen, Sie seyen es gewiss dass an iedem Hofe eben solche Gesinnungen herschten, und um desto mehr sey es zu bedauern, dass ohnerachtet dieser innerlichen Übereinstimmung man sich bisher nach einem gemeinschafftlichen Plan zu handeln noch nicht habe verstehen können, Durchl. seyen iezzo durch einen Vorgang bewogen mehr als iemals ein näheres Band mit den übrigen Fürsten zu wünschen und eine neue Überlegung der so nothwendigen Vereinigung unter sich zu veranlassen, da man preusischer Seits die Werbung [6] in Ihren Landen neuerdings verlangt habe. So wenig Sie im Falle seyen diese Fordrung wenn sie durchgesezzt werden wollte mit Nachdruck abzuweisen, so sehr wünschten Sie durch eine Verbindung mit wohlgesinnten Mitständen, deren Länder diesen, oder ähnlichen Unannehmlichkeiten ausgesezt seyen, solchen Zumutungen sich standhafft widersezzen zu können.

Dieser Schritt kann auf ieden Fall sogleich gethan werden, man mag sich in der Hauptsache entschliesen zu was man will, und er wird immer eine gute, wenn auch nicht hinreichende Würckung haben. Zu wünschen wär es dass andre glückliche Umstände zusammen träfen die Fürsten des Reichs aus ihrer Untätigkeit zu wecken, und sehr glücklich wär es wenn man durch die Noth gedrungen von hier aus zu einer geschwinderen Vereinigung beygetragen hätte.

Doch wird man mit der Entschliesung in der Hauptsache nicht auf die Antworten zu warten haben, weil man leider menschlicher Weise den Inhalt der eben nicht entscheidend seyn wird voraussehen kann.

Bleibt man also dabey sich dem Könige widersezzen zu wollen, so muss man sich vorbereiten, ehster Tage einen Werbeoffizier mit einem Commando, angemeldet oder unangemeldet erscheinen zu sehen, will man ihm alsdenn und dem Generale der ihn abschickt die Antwort geben: dass man ohnerachtet der königlichen Erklärung die Werbung nicht gestatten werde, und von dem Offizier verlangen dass er sich aus den[7] fürstlichen Landen wegbegebe, so wird man zum Voraus wohl zu überlegen und sich zu entschliesen haben, ob man im Weigerungs Fall ihn arretiren und aus dem Land bringen, und wie weit man mit der Gewalt wenn er sich widersezzen sollte gehen wolle. Solche Dinge die zwar schweer vorher zu bestimmen sind, müssen doch, weil sie vorausgesehen werden können, wohl überlegt werden, weil die augenblicklichen Entschlüsse in solchen Gelegenheiten, selten die Folgen zu Rathe ziehen.

Ist man also entschlossen, sich von dem ersten schwächeren Abgeschickten auf diese Weise zu befreyen, so entsteht die neue Frage was man thun will, oder vielmehr thun muss wenn sie mit verstärckter Gewalt wieder kommen.

Zwar lässt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuthen, dass die Preusen selbst es zu einem öffentlichen unangenehmen Ausbruch nicht werden kommen lassen, und wenn sie Standhafftigkeit sehen, sich begnügen in der Stille zu necken, und hier und da einigen Abbruch zu thun. Doch kan es auch seyn dass der König durch den gegenwärtigen Mangel an Leuten gedrängt, über die Achtung hinausgeht, die er gern zu seinem eignen Vorteil für die Fürsten bezeigte. Da er wohl weis dass theils alle diese Sachen wenn sie zur Sprache kommen sich beschönigen lassen, theils auch dass solche Beschwerden unter dem Lärm des Kriegs, und unter den übrigen weit wichtigern, [8] mehrere Theilnehmer angehenden Vorfällen, sich verlieren.

Wäre dieses, so würde er seinen hinausgeschafften Werber mit verstärckter Macht wieder herein führen, man würde Truppen gleichsam auf Exekution hier und da einquartieren, die alsdenn auf Unkosten des Landes unterhalten werden müssten. Bey der Unordnung die solch ein Trupp verursacht, und unter seinem Schuzze würden alle Übel der Werbung sich gehäuft ausbreiten, und die Rache die dazu käme, würde alle Mäsigung aufheben, und alle Übereinkunft abweisen. Sie würden alsdenn mit offenbaarer Gewalt, brauchbaare, verheurathete, angesessene Leute mit wegnehmen, man würde den Unterthan vor Prellereyen und Bevortheilungen nicht schüzzen können.

Was alsdenn übrig bliebe, wäre, den sich an Reichstag zu wenden, woher man sich aber bey gegenwärtigen Umständen nur eine leere Theilnehmung zu versehen hätte, indess man durch die dringenden und bittren Beschweerden das gute Verhältniss zum königlich Preusischen Hause leicht gestört haben könnte.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1779. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-93DE-D