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An Siegmund August Wolfgang Herder

Auf diejenigen Vorfälle, welche unglücklicherweise, indem sie meine Thätigkeit störten, mir eine Verdoppelung derselben zur Pflicht machten, haben Sie, theuerster Herr und Freund, zufällig, wie man es nennt, so besonders eingewirkt, daß ich mich in den letzten Wochen nicht beruhigt hätte, deshalb eine aufrichtige Erwiderung versäumt zu haben, hätte ich nicht der Überzeugung gelebt, Ihnen seyen durch freundlichste Hand vorläufig meine Gesinnungen angedeutet worden. Jetzt, da ich mich wieder freyer fühle, darf ich nicht länger zaudern, Sie unmittelbar zu versichern, wie sonderbar einwirkend Ihre Sendungen auf mich geesen. Ihr werthes Schreiben ist vom 10. November, und am Abend desselben Tages wurde mir das Ableben meines Sohnes in Rom durch schonende Freunde bekannt. Ihr bald darauf eintrefender Brief gab mir die tröstliche Übersicht: wie die liebenden Glieder einer ausgebreiteten Familie für mich gesinnt seyen, und ich mich nicht ganz sohnlos auf dieser Erde zuhalten habe.

Diesem tröstlichen Schreiben folgten sodann höchst erwünschte, nur zum Theil erwartete Sendungen, von [90] denen ich freylich im Augenblicke nur allgemeine Kenntniß nehmen durfte, zugleich aber die schönsten Aussichten wissenschaftlicher Belehrung mir eröffnet sah. Wundersam genug traf darauf das Paquet ein, den so wichtigen Vorschlag enthaltend zu einem tiefen Stollen von der Elbe bey Meißen biß in's Freyberger Revier, es war der 25. November gegen Abend. Ich las den Aufsatz sogleich von Anfang bis zum Ende durch, und wenige Stunden darauf überfiel mich ein bedrohliches Übel, welches mich einige Tage und Nächte in einen sorglichen Zustand versetzte, wobey denn aber, wie natürlich, der letzte Eindruck jener großen Unternehmung mir im Geiste bleib und mich stundenlang beschäftigte.

Baldmöglichst suchte ich hierauf Herrn Richter ein Lebenszeichen zu geben: die Ankunft der erwünschten Sendungen zu melden und die deshalb contrahirte Schuld alsobald abzutragen. Meine lieb Schwiegertochter unternahm, Ihnen meine herzliche Anerkennung mittelbar zukommen zu lassen, und ich gebrauche des ersten ganz freyen Augenblicks, um Vorstehendes als vorläufig zu vermelden, in Hoffnung, daß mir zunächst gegönnt seyn werde, auf die mir erwiesene Gefälligkeit, sowie das ehrenvolle Vertrauen geziemend zu erwidern.

Aller gern zurückrufend und eine neu belebte Sohnschaft [91] mit Freuden anerkennend, mit der leider sich einschleichenden unangenehmen Empfindung, daß mir das so liebe als bedeutende Freyberg, wo ich mich so oft in Gedanken aufhalte, immer weiter gerückt werde.

Verpflichtet verbunden

Weimar den 19. Januar 1831.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Siegmund August Wolfgang Herder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-93E6-A