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An August von Goethe

Eger am 26. August 1821.

Der Vorsatz, nach Eger zu gehen, wurde beschleunigt, denn der bestellte Kutscher kam schon Freytag, wegen des großen Festes, dem Schutzpatron St. Vincenz zu Ehren Sonntag den 26. gefeyert. Aus dem Tagebuch siehst du das Weitere, und ich lasse Gegenwärtiges abgehen, ehe ich nach Hartenberg zu dem Grafen Auersperg fahr, es liegt nicht weit von Zwotau.

Beyliegendes Blatt übergiebt dem guten Rehbein, mit der Bitte, den Inhalt, nebst meiner schönsten Empfehlung, der Frau v. Heygendorf mitzutheilen.

[57] Vor allen dingen aber sorge, daß Nachstehendes an Ihro Kaiserliche Hoheit die Frau Erbgroßherzogin, allenfalls durch Frau v. Hopfgarten gelange.

Großfürst Michael trug mir abreisend freundlichst auf, seine Frau Schwester, welche um ihn besorgt scheine, über dessen Gesundheit zu beruhigen; Die Cur habe ihm wohlgethan und er hoffe von den Folgen das Beste. Empfehlt mich zu gleicher Zeit unserer theuersten Fürstin zu Gnaden. Wollte man bey der Frau Großherzogin Hoheit meiner auch gelegentlich ehrfurchtsvoll gedenken!

Auf Gegenwärtiges erwarte noch hier eine Antwort und kleine Sendung. Ich habe hier Zeit und Ruhe, noch manches zu ordnen, abzuschließen und vorzubereiten und dabey mich in der Gegend umzusehen. Einer neuen Versuchung nach Prag zu reisen kann ich jedoch nicht nachgeben, es bleibt bey dem was ich zuletzt schrieb; suchet mir in Jena angenehm vierzehn Tage zu verschaffen.

Nun aber grüße Ottilien schönstens und danke für den ausführlichen liebevollen Brief. Mir ist es sehr wohl gegangen; es war in unserm Hause keineswegs so einförmig, wie sie sich es denken mag; doch gut war es, daß sie mich nicht begleitet hatte, denn Frau v. Dürnberg verfeindete sich mit unserm Castell, dieß würde der alten Anspacher Freundschaft nicht erfreulich gewesen seyn.

[58] Von der neuen Ulrike ward mit einigem Bedauern geschieden; ich hoffe, daß mich die erste desto zärtlicher empfangen soll.

Überhaupt wenn ich mir die Menschen die ich näher gesehen alle vergegenwärtigte, so giebt es der Welt-Anschauung reichen Gewinn. Der Stamm ist immer derselbe, die Verzweigungen gränzenlos. Und somit allem Guten befohlen.

Montag den 27. [August] 1821

Eger.

G.


Fortsetzung des Tagebuchs

Mittwoch den 22. August. Schauspielkunst vonZiegler, Betrachtung darüber und Schema. Geschichte von Böhmen, ingleichen Topographie; Wiederholung der gestrigen und vorgestrigen Tour und Notamina deshalb. Mittag am Familientisch. Abends am Brunnen, Unterhaltung mit dem Großfürst Michael. Stadelmann Pechstein holend. Abends bey'm Thee. Brief von meinem Sohn und mancherlei Inlagen.

Donnerstag den 23. Sendete Doctor Heidler Spießglanz-Stufen. Der Harz, in Resersteins erstem Heft. Betrachtung über die Pechsteine, entdeckte pyramidale Gestalt derselben. Sendung von Zauper. Vor der Thüre; abermals das schönste Wetter. Zaupers Heft im Walde, sodann im Zimmer [59] gelesen. Unterhaltung mit Richter über böhmische Namen. Sendung von Nokizan, durch den Herrn Kreishauptmann Breinl. Mittag zu Tische, kam von Berlin Präsident Am Brunnen Stadelmann zurück, abermals mit Pechstein. Abends große Gesellschaft zum Thee.

Freytag den 24. Sendung von Mineralien aus Töpel, durch Dr. Scheu, welcher mir zugleich die Aushängebogen seines Werks über Krankheitsanlagen der Menschen brachte. Darauf Commissär Richter. Böhmische Sprache, Ortschaftennamen übersetzt, Censur, Schulunterricht, polizeyliche Einrichtungen. Mineralien eingepackt. Mittag am Familientisch, Abends am Brunnen. War der Wagen von Eger angekommen.

Sonnabend den 25. War der Großfürst Michael abgegangen. Mit Einpacken beschäftigt. Abschied von der Familie und den Hausgenossen. Abgefahren um 12 1/2 Uhr, sehr guten Weg getroffen. In Sandau einen Berliner, Herrn Weiß, den Weginspector Schneider, einige Stücke Serpentin von Einsiedel. Der Himmel rings umzogen mit Cumulus und Dunst. Über dem Fichtelberg eine Reihe Cumulus, die unmittelbar vor sich herabregneten. Um 6 Uhr in Eger. Polizeyrath Grüner; mit demselben nach Franzenbrunnen. Gräfin Henckel und Herr v. Stein aus Breslau besucht, zurück um 9 Uhr. Einladungsbrief des Grafen Auersperg.


[60] St.Vincenz-Tag.

Sonntag den 26. Früh aufgestanden. Entschluß der Einladung nach Hartenberg zu folgen dem Polizeirath Grüner erklärt, mit demselben auf den Ring und in die Hauptkirche gegangen. Die Stadt sehr lebhaft, die Prozession von neun Pfarreyen, mit ihren untergeordneten Ortschaften, zogen von 7 Uhr an einzeln in die Stadt und die Hauptkirche, von wo aus um 10 Uhr die große Prozession ausging und bis 11 Uhr dauerte. Gegen 1 Uhr trübte sich der Himmel, nach einigen Regenschauern befestigte das Gewölk sich wieder. Ich fuhr mit Rath Grüner nach Liebenstein, dem Herrn von Zewitz gehörig, wo ich freylich alles anders fand als vor zehn Jahren. Der gegenwärtige Besitzer hat völlig eingehen lassen, was der vorige, gar sinnig, in einer sehr bedeutenden, durch Fels und Wald ansehnlichen, durch Teich und Mühlen wiederbelebten Einöde, an der bayerischen Grenze, einem hohen Waldgebirg gegenüber, unmittelbar an einen Bach stoßend, eingerichtet hatte und mehrere Jahre gehegt.

Von unsern mineralogischen Zwecken erreichten wir nun schöne große Feldspath-Zwillingscrystalle, tafelartiger als die Carlsbader. Die Felsenmassen umher sind alle Granit. Unsere Fahrt, durch schlimmen Weg verspätet, durch Gewitter bedroht, mußte leider allzufrüh abgebrochen werden, von Nachts kamen wir eben nach Hause.

[61] Montag de 27. Den Morgen mit der Expedition nach Weimar zugebracht. Das Barometer war gestiegen. Auf eine kalte Nacht folgte ein leichter Spühregen, der Himmel zwar bewölkt, doch trockenes Wetter versprechend. Wir bereiten uns zur Fahrt nach Hartenberg, wozu uns das schöne Wetter sehr günstig ist. Der gute Herr v. Stein suchte mich gestern hier, leider war ich ausgeflogen. Morgen Abend komme ich von Hartenberg zurück, fahre gleich übermorgen nach Franzensbrunnen und hoffe ihn noch zu finden. Laßt seiner Frau Mutter wissen, daß ich ihn wohl und munter gesehen habe. Frau Gräfin Henckel wünsche auch noch zu treffen, von allem nächstens.

Und so würde denn meinen Geburtstag, auf die wunderbare Weise, an einem neuen Ort, in ganz neuer Umgebung zubringen. Es ist angenehm und reizend. Den Erfolg vernehmt ihr gleich.

Gedencket mein, grüßet alles auch besonders den guten Walter, dessen Entwicklung in solcher Zeit mit Freunden erwarte. Wolf hat gewiß auch schon neue Fähigkeiten ausgestreckt. Lebt wohl.

Montag d. 27. [August] 1821.

Eger.

G. [62]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-93FE-5