29/8022.

An Ottilie von Goethe

Du mußt, meine liebe Tochter, doch kein ganz echtes Vaterlandsgefühl in dir hegen, sonst hättest [101] du dem, obgleich versiegelten Packet seine Gottlosigkeit angefühlt. Bedenke nur! dieser schreckliche Dramatiste läst die wahre preußische, uralte Dreyeinigkeit Perkunos, Potrimpos, Pikollos aus dem ewigen Eichenlaub herabstürzen, weil das leidige Gelichter: Ottokar von Böhmen, Rudolph von Habsburg, ja sogar ein anonymer Graf von Habsburg sich einfallen lassen meine edlen alten Bernstein-Preußen heimzusuchen und zu cristenen (Frage die liebe Mutter was das heißt).

Werners Kreuz an der Ostsee hat uns dieses garstige Spectakel einmal zugemuthet; da war es aber doch wenigstens Original; jetzt kann es keineswegs passiren, am wenigsten vor mir als einem echten Bernstein-Patrioten.

Willst du deshalb, meine allerliebste Tochter, mit einigen Redensarten, die dir vielleicht zu Gebote stehen, uns höchlichst herausziehen, so conformire dich, in meinem Namen, mit Geheime Rath Wolf, welcher zum Druck räth und einen, für den einzelnen Beurtheiler höchst lästigen Ring und Reif, oder Kette wie man will (in der Kunstsprache Cyclus genannt) dem Publicum an den Hals wirft, das recht gut weis wie es dergleichen Dinge los werden soll. Überzeugt daß du dir eine Freude machst dergleichen, einem wahren Ostsee-Freunde höchst widerwärtige Dinge zu beseitigen, überlaße ich deiner vorsteherlichen Weisheit Mittel und Wege zu erwählen und zu ergreifen.

[102] Dazu kann ich nicht unbemerkt lassen daß der Dramatist der Erfinder der vor Zeiten rumorenden Fahrküchen ist und, da diese nicht sonderlich Schmackhaftes hervorgebracht, es jetzt in einem andern Geschmacksfelde versuchen will.

Möge für diese Peinen die ich dir auflade dir alles andere zu Gute kommen und Mons. Misele geputzt und glänzend bald unsere sämmtliche Begrüßungen aufordern.

Grüße die verehrten Sybillen, die heitern Musen und was sonst froh und nützlich vereint seyn mag.

Das schönste Lebewohl!

Kannst du für das sehr wohlgerathne, mir sehr liebe Bild des unvergeßlichen Grafen Reden irgendwo einen Danck abstatten so verpflichtest du mich durch Erfüllung dieser Pflicht.

Friede dir! Und Wohlgefalle

bey allen guten Leuten.

Jena den 26. März 1818.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1818. An Ottilie von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9405-B