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An Wilhelm von Humboldt

Mit aufrichtigem Danke erkenn ich, daß Sie Ihre freundschaftliche Zusage so bald und so vollkommen erfüllen mögen. Ihr schöner Entwurf hat mir einen ganz neuen Anstoß zu allerley Studien gegeben. Es ist mir nicht mehr möglich Materialen zu sammeln, aber wenn sie mir so concentrirt gebracht werden, so freu ich mich gar sehr, die Lücken meines Wissens schnell zu complettiren und zu dem, was ich schon besitze, tausend Beziehungen zu finden.

Sobald ich im Monat März einige ruhige Wochen in Jena verbringen kann, so soll es an die Arbeit gehn, die nach Ihrer Vorarbeit eigentlich nur ein Spiel ist. Bertuch hat mir einige Europa's bräunlich abdrucken lassen, davon soll eins auf ein großes Reißbrett aufgezogen und die Gränzen illuminirt werden. Alsdann will ich mit kleinen aufgeklebten Zeddeln die Hauptsprachen, und insofern es möglich ist, auch die Dialecte bemerken, und Bertuch hat nicht übel Lust, alsdann eine solche Charte stechen zu lassen, welches, bey seiner großen mit allerley Künstlern versehenen Anstalt, leicht ist. Haben Sie daher ja die Güte fortzufahren und mir baldmöglichst das Weitere zu senden. Eine Charte der beyden Hemisphären liegt auch schon da und erwartet, auf gleiche Weise bespracht zu werden.

Zu Ihrer immer mehr ausgearbeiteten Übersetzung des Äschylus wünsche ich von Herzen Glück und ich[278] freue mich, daß Sie Sich durch die Drohungen des Heidelberger Cyclopen und Familie von diesem guten Werke nicht abschrecken lassen. Jenen bedräuen gegenwärtig unsern Wolf, der doch auch keine Katze ist, mit schmählicher Hinrichtung, weil er es gewagt, auf der Übersetzungsinsel, die sie vom Vater Neptun privative zu Lehn erhalten, gleichfalls zu landen und einen lesbaren Aristophanes mitzubringen. Es steht geschrieben, selig sind, die im Herrn entschlafen, aber noch seliger sind die, welche über irgend einen Dünkel toll geworden.

Selig im ersten Sinne ist nun unser Wieland, er ist in seinem Herrn entschlafen und ohne sonderliches Leiden zu seinen Götter und Heroen hinübergegangen. Was Talent und Geist, Studium, Menschenverstand, Empfänglichkeit und Beweglichkeit, verbunden mit Fleiß und Ausdauer, vermögen utile nobis proposuit exemplar. Wenn jeder seine Gaben und seine Zeit so anwenden wollte, was müßten für Wunder geschehn!

Dieser Winter ist mir, wie gewöhnlich, sehr zerstreut, aber doch, bey leidlicher Gesundheit, schnell und nicht ungenutzt vorübergegangen. Theatralische Vorbereitungen auf den lang erwarteten Iffland, welcher erst gegen Ende des Jahrs ankam, sowie auf seine Gegenwart, die mir viel Vergnügen gewährte, brachten mich November und December aus dem Geschicke. In den Januar und Februar fallen viel Geburtstäge, wo man entweder unsere Erfindung oder unsere Mitwirkung [279] anspricht, und so wird manches, zwar mit gutem Willen, aber ohne Furcht verzettelt.

Was ich mit Vergnügen und wahrem Antheil dazwischen getrieben habe, war ein erneuter Versuch, von alten Monumenten, deren Beschreibung auf uns gekommen ist, die Spur unter den vorhandenen Bildwerken zu finden. Die Philostrate waren wieder an der Tagesordnung, und was die Statuen betrifft, so glaube ich dem Olympischen Jupiter, über den schon manches vorgearbeitet ist, hernach aber der Juno von Samos, den Doryphorus des Polyclet, besonders aber der Kuh Myrons, und dem Stier, der die Europa trug, auf die Spur gekommen zu seyn. Meyer, durch dessen alte Kunstgeschichte, die nunmehr in's Reine geschrieben ist, die Hauptanregung geschehn, nimmt lebendigen Antheil, da seine Zweifel sowie seine Beystimmung immer gegründet sind.

Und so will ich denn für dießmal schließen, in Hoffnung, bald wieder etwas von Ihrer lieben Hand zu sehn.

Weimar den 8. februar 1813.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Wilhelm von Humboldt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9416-5