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An Johann Heinrich Meyer

Jena den 30. May 1809.

Es war mir sehr unangenehm, mein lieber Freund, daß Sie mich gestern verfehlten; denn ich hätte, wegen Kaaz und sonst noch, manches gern mit Ihnen gesprochen. Was unsern landschaftlichen Freund betrifft, so werden Sie sich aus eignem Antrieb gewißlich seiner zum besten annehmen. Er ist nun wohl in mein Haus gezogen und meine Frau wird für ihn, nach ihrer Weise, sorgen. Die Ausstellung seiner Bilder haben Sie ja wohl auch schon mit ihm überlegt und dazu ein schickliches Local gefunden. Sie werden, nach Ihrer gewohnten Weise und unserm [341] alten Übereinkommen, ihm für seine Mühe, sein Zutrauen, sein Wagestück jetzt zu uns zu wandern, bey so entschiedenem Talent, gewiß alles Freundliche erzeigen, daß ich hier ruhig bleiben kann, woran mir soviel gelegen ist: denn würde ich jetzt in meiner Arbeit unterbrochen so verlöre ich ein ganzes Jahr. Ich verlange zwar nicht, daß mir das Jemand glauben soll; weil es aber am Ende immer nur heißt: Arzt hilf dir selber! so bleibt mir nichts übrig als meine eigne Zustände nach meiner Art zu beurtheilen. Lassen Sie mich mit wenigen Worten wissen, wie es ohngefähr steht und ob Sie nicht gelegentlich zu uns herüberkommen, daß ich es nur wenige Stunden zuvor wüßte, um nicht abwesend zu seyn. Ich möchte gar zu gern mit Ihnen über das Stieglitzische Buch, die alten Münzen mit Kunstsinn zu behandeln und zu ordnen, eine Conferenz haben. Es ist darin Kenntniß und guter Wille genug, nur fehlt leider das wovon eigentlich die Rede ist. Wie Kunst zur Sprache kommen sollte, ist gleich wieder nur Geschichtliches da. Wer es ersteht, lernt wohl noch etwas zu, aber betrübt sich, daß er, der es nun nicht versteht, rein gar nicht weiß wovon die Rede ist. Ich habe nun auch zu dem Buche die Pasten erhalten, eine große Gabe fürwahr, besonders für mich, der ich hier herüber nur immer so genascht habe. Die große Consequenz, die ich durchaus zu schauen glaube, wird durch die wunderlichen Nummern der einzelnen Stücke sehr in die Irre geführt.

[342] Der Catalog, oder vielleicht das Buch selbst das ich noch nicht ganz durchgelesen habe, werden uns vielleicht zurechtführen. Wie man nun, unter diesen Umständen und Bedingungen, dieser Bemühung öffentlich etwas freundliches erzeigen und sie fördern könnte, ohne sich zu compromittiren und ohne das was wir eigentlich wünschen, zu retardiren, sehe ich eigentlich nicht ein, und wünschte darüber Ihre Gedanken, freylich am liebsten mündlich, weil sich solche pro und contra's in Schriften schwerer auflösen. Überhaupt ist nichts schwerer, besonders gegen das Publicum, zu behandeln, als diese Präocupationen die eine würdige Aufgabe unzulänglich lösen und einen in den wunderlichen Fall setzen, mit Billigung zu mißbilligen und mit Mißbilligung zu billigen, so daß derjenige der unterrichtet seyn möchte, nicht weiß ob es gehauen oder gestochen ist.

Leben Sie recht wohl, sagen Sie mir von Zeit zu Zeit ein Wort, wäre es auch nur, damit man sich nicht entfremde. Ich befinde mich nicht mehr ganz übel weil ich wieder etwas thun kann. Wenn ein Arzt auf seinem Todbette noch einen andern für ein langes Leben retten kann, so sehe ich nicht ein, warum wir andern nicht noch, indem wir uns übel befinden, etwas thun sollten was die Menschen erfreut. Leben Sie recht wohl und grüßen Sie die nächsten.

G. [343]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1809. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9425-5