36/102.

An Kaspar von Sternberg

Möge, verehrter Herr und Freund, gegenwärtiges Blatt zur besten Stunde Sie begrüßen und vor allen Dingen mit wenigen Worten aussprechen: daß ich das Glück Ihrer persönlichen Gegenwart zu empfinden und zu genießen erst nach dem Abschiede recht fähig geworden; lassen wir das späte Zusammentreffen desto freuduger und kräftiger fortwirken.

Zuvörderst also, die früheren Jahre wieder heranknüpfend, begleitete ich Sie auf Ihren heitern und überall wohlgenutzten Reisewegen, erinnerte mich eines ähnlichen Ausflugs von regensburg nach Roveredo; auf dem Gardasee fand ich mich ganz an Ihrer Seite und mußte sodann dankbar anerkennen, daß Sie so steile Wege, durch unwirthbares Gebirg, beobachtend, zurücklegen wollen, um demjenigen, der sich die wechselnden Bilder hervorzurufen vermag, so sauere Pfade belehrend zu ersparen.

[131] Nun aber thue ich wohl am besten, geschichtlich weiter zu gehen, um zu melden: daß gleich den Morgen nach Ihrer Abreise Reserstein von Halle auf geologischem Durchflug nach der Oberpfalz, in Hoffnung Sie noch hier zu treffen, anlangte; er zeigte sich als wohl unterrichtet, eifrig und zu seinen Zwecken thätig und rührig.

Die geologischen Sammlungen des Eger Bezirks, für Prag, Töpel und Eger, wurden numerirt, katalogirt und auf der großen Tafel reinlich zurecht gelegt.

Den dritten August fuhr ich mit Polizeyrath grüner nach Folkenau, zu Bergmeister Ignatius Lößl, wo wir ein schönes Mineralienkabinett fanden und die Neigung des guten Mannes, von seinen Doubletteneiniges mitzutheilen, gar wohl zu schätzen wußten. Er wird hoffentlich auch für das Prager Museum thätig seyn.

Man machte mich mit den Poesien eines einheimischen Naturdichters, Namens Fürnstein, bekannt, welche lobenswürdig sind; auf seinem seit siebenten Jahr durch Gicht verkrümmten Körper hat sich ein guter Kopf ausgebildet, ein Cerebralsystem, das wohlgestalten Gliedern Ehre machen würde. So wunderbar stecken vorzügliche Menschen in allen Winkeln der Erde. Niedergedrückt vom entsetzlichsten Elend, behauptet der Menschengeist doch immer wieder einmal seine Rechte.

[132] Sonntag den 4. kamen wir gegen Mittag nach Hartenberg, von dem Herrn Grafen wohl empfangen; an guter Unterhaltung, was seit einem Jahr vorgegangen, konnte es nicht fehlen. die Lehrerin einer Brüßlerspitzen-Schule zu Goffengrün war gegenwärtig und mochte mir die Behandlung dieser überzarten Arbeit freundlich vortragen. Der Graf besitzt schöne Mineralien; besonders neu waren Blenden von Ratiborschitz, einem freylich nunmehr aufgegebenen Werke. Frische Anbrüche von Bleystadt, grün- und weißes Bleyerz, so wie von Johann-Georgenstadt Rothgiltigerz haben gutes Ansehen. So verstrich der Tag mit vielfacher Unterhaltung. Den 5. waren wir wieder in Eger.

Dienstag den 6. besuchte mich Musikmeister Tomaschek von Prag und trug manches Erfreuliche von meinen Liebern vor.

Mittwoch den 7. fuhren wie nach Schönberg, wo der Capellberg manch Interessantes darbietet. die Bestandtheile des Granits in großen Partien neben einander, Einigen Tage darauf besuchten wir den Pfarrer daselbst, welcher von diesen Vorkommnissen reichlich mittheilte. Polizeyrath grüner wird für das Museum Exemplar senden. Ein wunderschöner Glimmer in Federgestalt ist darunter.

Sonntag den 11. ward Waldfassen besucht, das leere Schneckenhaus bewundert und bedauert. Hierauf begab ich mich nach Redwitz, sonst mit Eger verknüpft, jetzt an Bayern abgetreten. Das Fabrikwesen des [133] Herrn Fikentscher verdient alle Achtung; der Sohn, ein guter Chemiker, half mir gleich zu vollkommenen trüben Glastäfelchen.. Mit den entoptischen wollte es nicht so gut gehen, doch wird er weiter fort arbeiten. Sie beschicken eine bedeutende Glasfabrik und da muß dem Aufmerksamen so etwas in die Hände laufen. An einigen schnell verkühlten Glaskölbchen und -stäben war bei heiterm Himmel auf dem schwarzen Spiegel die Erscheinung vollkommen schön. Ich habe dem jungen Manne ein entoptisches Gestell mit zwey schwarzen Spiegeln, geschwind gefertigt, zurückgelassen. Wir müssen nun dieses Evangelium rascher zu verbreiten suchen. Wie es von Henning in Berlin gelungen, melde seiner Zeit. Wie förderlich Ihre Theilnahme auf der Reise gewesen, freue mich zu vernehmen.

Vor allem aber wünschte zu erfahren, in wie fern der herrliche Zweck Ihrer Fahrt völlig erreicht worden, wodurch so viele Mühe dem einzelnen Beschäftigten, den Naturfreunden so manche Geld zu ersparen, der eigentlichen Wissenschaft aber ein doppelt großer Gewinn zu erreichen ist. Kann man sich mit Willen entschließen, was ohne, gegen unsern Willen geschieht, daß das Einzelne sich in's Ganze verschmilzt, daß das eigene Thun sich sogleich im Thun so vieler andern verliert, so ist gleich ein halb Jahrhundert gewonnen. Doch soll es vielleicht nicht so seyn. Wo nähmen die Menschen ihre Thätigkeit her, wenn sich nicht jeder [134] etwas mehr als billig einbildete und seinen Kreis abzuschließen trachtete?

Die Sammlungen, wovon Verzeichnisse beyliegen, gingen den 22. an Inspector Gradl nach Marienbad ab. Ich habe mich dabey aller Betrachtungen enthalten, die ich aber nachbringe. Wird mir das Glück, Ihr Museum zu beschauen, so kann manches Erfreuliche für uns und andere daraus entspringen. Eine Übersicht des großen böhmischen Ganzen, an dessen Einzelheiten mich so viele Jahre schon abmüde, würde mir großen geistigen Genuß geben.

Die von Ihnen so schön zur Evidenz gebrachten Documente der Umwelt sind mir immer vor dem Sinne und ich suche sie nach meiner Art in das Ganze einzuschalten und wo möglich einzuweben.

So eben aber, als ich mich anschicke abzuschließen und das Lebewohl treulich hinzufügen, überrascht mich eine Sendung der Gesellschaft des vaterländischen Museums in Böhmen an Polizeyrath Grüner, woraus ich ihre Grundgesetze ausführlich kennen lerne, imgleichen aus einem hinzugefügten Blatte die Nachricht des bisher Geschehenen und sodann eine ehrenvolle Erwähnung meiner geringen Theilnahme gewahrt werde, wodurch ich berechtigt bin, mich zu den stiftenden Gliedern zu zählen. Möge die ansehnliche Gesellschaft auch die letzten Beyträge freundlich und nachsichtlich aufnehmen, indeß ich noch manches, Böhmen unmittelbar Angehörige bey mir zu Hause [135] verwahre, welches nachzubringen ich nicht verfehlen werde.

Haben Sie daher die Gefälligkeit mir anzudeuten, wohin ich etwa von Weimar aus eine Kiste adressiren könnte? Vielleicht nach Leipzig oder Dresden, daß sie mit mäßiger Fracht überkäme.

Eine Abschrift des beyliegenden Verzeichnisses hat Polizeyrath grüner gleichfalls erhalten, daß nichts geschickt werde was darin schon begriffen ist.

Es sind noch sehr schöne große Stücke von Eisenoker ganz durchgezogenen Holzes aus den Gruben bey Pograd angelangt, wovon Rath Grüner die vorzüglichsten übersenden Wird.

Ich habe indessen auch meine Beobachtungen gemacht über den Ursprung der Eger und ihren Lauf, eh sie nach Böhmen eintritt, und ist wirklich diese Region der Natur nach als zu Böhmen gehörig anzusehen. Der Lauf der Mondra, des ersten Wassers, das im Königreiche in die Eger fällt. ist gleichfalls in diesem Sinne zu beachten.

Hiermit schließe ich also am Vorabend meiner Abreise und wünsche mir nochmals Glück zu jedem Guten, das mir begegnete, vor allem aber mit Ihnen, verehrter Freund, näher verbunden zu seyn. Von nun an werde notiren und zu seiner Zeit melden, was Ihnen einige Theilnahme abgewinnen könnte, und bitte um ein Gleiches so wie um fortgesetzte wohlwollende Nachsicht.

[136] Damit nun aber auch dieser Transport dichterisch anmuthig erheitert werde, lege das schon bekannteSträußchen bey, welches ich mit poetisch-kritischer Kühnheit in seiner sechszeiligen Strophengestalt wieder herzustellen gewagt habe, ohne behaupten zu wollen, daß es dadurch besser geworden.

treu anhänglich

Eger den 26. August 1822.

J. W. v. Goethe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1822. An Kaspar von Sternberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-943D-2