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An Johann Friedrich Rochlitz

Mit vielem Dank, mein Werthester, sende ich den mitgetheilten Aufsatz zurück. Wer das deutsche Publicum kennt, dessen selbstische Eigenwilligkeiten Sie so gut schildern, wer zunächst erfahren hat, daß sie vor allem Neuen, so sehr sie darnach gierig sing, wenn es einigermaßen problematisch ist, eine ängstliche Apprehension fühlen, und daher den Miswollenden freyes Spiel geben, um sich nur jener Furcht entledigt zu sehen – der weiß gewiß dankbar anzuerkennen, wenn ein Freund als Mittelsperson auftreten mag, damit die Menschen sich geschwinder mit [250] dem befreunden, was ihnen fremd und wunderlich erscheint. Besonders in den letzten zwanzig Jahren mußte man große Geduld haben: denn mehrere meiner spätern Arbeiten brauchten zehn und mehr Jahre, bis sie sich ein größeres Publicum unmerklich erschmeichelten; wie denn ja mein Tasso über 20 Jahre alt werden mußte, ehe er in Berlin angeführt werden konnte. Eine solche Langmuth ist nur dem zuzumuthen, der sich bey Zeiten den Dèdain du Succès angewöhnt hat, welchen die Frau von Stael in mir gefunden haben soll. Wenn sie den augenblicklichen, leidenschaftlichen Succès meint, so hat sie recht. Was aber den wahren Erfolg betrifft, gegen den bin ich nicht im mindesten gleichgültig; vielmehr ist der Glaube an denselben immer mein Leistern bey allen meinen Arbeiten. Diesen Erfolg nun früher und vollständiger zu erfahren, wird mit den Jahren immer wünschenswerther, wo nicht mehr viel Stunden in Gleichgültigkeit gegen den Augenblick zuzubringen und auf sie Zukunft zu hoffen hat.

In diesem Sinne machen Sie mir ein großes Geschenk durch Ihren Aufsatz und bethätigen dadurch abermals die frühere mir schon längst bewährte Freundschaft. Doch darf es mich nicht einmal überraschen, daß Sie in meine Intentionen auch bey dieser Arbeit so tief eindringen, da Sie unter diejenigen abwesenden Freunde gehören, die ich mir vergegenwärtige, wenn ich mir meine alten Mährchen in der Einsamkeit [251] zu erzählen anfange; und ich darf wohl versichern, daß der nächste und eigentliche Zweck ist, gegen solche auf indirectem Wege wieder einmal laut zu werden, da die directe Communication so manches Hinderniß erfährt.

Daß Sie meine asiatischen Weltanfänge so freundlich aufnehmen, ist mir von großem Werth. Es schlingt sich daher für mich gewonnene Cultur durch mein ganzes Leben, und wird noch manchmal in unerwarteten Erscheinungen hervortreten: wie ich denn von Ihrem liebevollen Glauben hoffen kann: daß Sie überzeugt sind, der erste Theil sey mit Bewußtseyn und mit Absicht geschrieben, und enthalte auch nicht das kleinste geringfügig scheinende, was nicht künftig einmal nach seinem Geschlecht und Art in Blüthe und Frucht hervortreten soll. Freylich das Publicum, wenn man es an ein Saatfeld führt, bringt gleich die Sicheln mit, und bedenkt nicht, daß noch mancher Monat bis zur Erndte hingeht, ja wohl noch das grüne Feld eine schöne Zeit unter einer Schnee- und Eisdecke zu ruhen hat.

Es würde mir unendlich interessant seyn, wenn Sie mir mittheilen wollten, was Sie über die Farbenlehre aufgesetzt haben. Die Wirkung von dieser wird noch mehr retardirt, als die Wirkung meiner andern Sachen. Denn hier kann man das Publicum am leichtesten irre führen, indem man mir anders Verdienst wohl läßt, aber in dieser Sache, die ja nicht [252] in mein Fach schlafe, ein verzeihliches Travers Schuld giebt. Indessen macht es mich schon glücklich, daß ich diese Arbeit, die ich so lange mit mir herumgetragen, endlich losgeworden. Was für eine große Übung es für mich gewesen, diesen Gegenstand durchzuarbeiten, ermessen Sie Selbst; und welche wichtigen Bemerkungen ich mache, indem Ich meine Gegner beobachte, wage ich kaum auszusprechen. Doch ist es ja kein Geheimniß, daß Niemand überzeugt wird, wenn er nicht will.

Warum sollte ich nnun nicht auch wünschen, meine Freunde kennen zu lernen und besonders Ihre Ansicht, die mir in so mancher Betrachtung wert seyn muß.

Mich zu dauerndem Wohlwollen empfehlend

W. d. 30. Jan. 1812.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Johann Friedrich Rochlitz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-944B-2