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An Carl Friedrich Moritz PaulGraf von Brühl

Sie, mein theuerster Herr und Freund, möchte ich nicht ohne schnelle Antwort lassen; verzeihen Sie deswegen meinen eiligen Worten.

Als Herr Musikdirector Seidel mir schrieb, er habe Lila in Musik gesetzt, so wünschte ich er hätte mir das früher eröffnet, damit ich noch etwas hätte daran thun können, um das Stück dem eigentlichen Singspiel zu nähern. So wäre es aber etwas ganz anderes geworden und da es nun so hingehen soll mache ich folgende Bemerkung:

Das Sujet ist eigentlich eine psychische Cur, wo man den Wahnsinn eintreten läßt um den Wahnsinn zu heilen. Haben Sie also ja die Güte daß der erste Aufzug sehr gut prosaisch, familienhaft, nicht zu schnell, expositionsmäßig vorgetragen werde.

Im zweyten Act heben Sie es gleich in eine fremde Region; daß Lila, der Magus und Almaide als Sprechende und Singende ihre Pflicht leisten dafür ist gewiß gesorgt.

Dem Friedrich, der im dritten Aufzug wieder ganz prosaisch hereintritt, geben Sie von Anfang eine uniforme de goût, daß er in das phantastische Zauberwesen nicht allzufremd eintreten möge; eben so geben Sie den übrigen keine ganz prosaische Uniformen damit die Cur dem Zuschauer nicht allzu bisarr erscheine.

[299] Was die Kleidungen betrifft, sagt das Stück selbst: daß man zu diesen psychischen Curzwecken schon vorhandene Masken- und Ballkleider anwende und darin lag auch der Spaß unserer ersten Aufführung auf dem dilettantischsten aller Liebhaber-Theater. Da Sie es nun aber in die höchste Region führen; so bleibt Ihnen auch auf diesem Standpunct ganz dieselbe Behandlung.

Der Oger wird wie eine Art von wilder Mann krausbärtig, so nackt, als er sich schicken will mit schwarzem Bärenpelze einigermaßen bekleidet und mit der gehörigen Keule vorgestellt, wo möglich, breit und derb. Der Magus dagegen lang gekleidet, verhüllt, langbärtig. Der Dämon, welcher blos Tänzer ist, mit seiner Umgebung leicht, sylphenhaft doch prächtig.

Almaide einfach und edel doch reich. Die Feen hiezu passend. Die Gefangenen können, wenn man will, verschiedene Nationalkleidungen tragen, aber alle mit einer Schärpe von schwarzem Pelze als Diener des Ogers.

Wenn bey uns alles von allen geleistet, gesprochen, getanzt und gesungen wurde; so beruht eigentlich darauf der Spaß der psychischen Cur, der durch eine höhere Vorstellung wie Sie solche geben müssen, gewissermaßen zerstört wird. Können Sie also sorgen daß das Aneinandertreten der Poesie und Prosa, des Alltäglichen und Phantastischen nicht schreyend wird, sondern sich mit einander verbindet und zuletzt eine fröhliche Anerkennung [300] des Gewöhnlichen bey den Zuschauern nicht die Exaltation aufhebt, so ist es möglich daß das Stück Gunst erhalten und behalten kann.

Ihr Brief mein Werthester vom 25. September ist mir erst am 1. October geworden, deshalb schicke ich nach Seifersdorf und Berlin Duplicate der Antwort. Möge Ihnen nach einem ausgestandenen ungeheueren Unheil, das mich redlich und innig geschmerzt hat, alles Gute gelingen im Großen und Kleinen.

Mit diesem Theatersegen will ich zum freundlichsten abgeschlossen haben.

treugesinnt

Weimar den 1. October 1818.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1818. An Carl Friedrich Moritz PaulGraf von Brühl. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-945F-5