1787

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An Friedrich Constantin von Stein

Rom, den 4. Januar 1787.

In meinen weiten Mantel eingewickelt, und meinen Feuernapf bei mir, schreib' ich dir, mein lieber Fritz, denn in meiner Stube ist weder Ofen noch Camin, und seit gestern weht ein Nordwind. Das Wetter ist schön und man geht gern auf den trocknen Straßen spazieren.

Nun muß ich dir allerlei Geschichten erzählen. Neulich sind wir in der Peterskirche fast (wie man zu sagen pflegt) über den Pabst gefallen. Wir gingen nach Tische in der Kirche herum und besahen die schönen Steinarten, womit Alles ausgeziert ist. Tischbein zeigte mir eben einen vorzüglich schön gezeichneten Alabaster (eigentlich Kalkspath) an einem Grabmale, als ich ihm auf einmal in die Ohren sagte:da ist der Pabst. Ihro Heiligkeit knieten [112] wirklich in langem weißem Gewande mit der rothen Schnur an einem Pfeiler und beteten. Die Monsignores vom Gefolge, davon einer den rothen goldbesetzten Hut hielt, standen mit ihren Brevieren nicht weit davon und sprachen mit einander, und anstatt einer feierlichen Stille machten die Leute, welche in der Peterskirche zu reinigen haben, einen Lärm auf den andern, damit der Pabst sie und ihren Fleiß bemerken sollte, denn wie er weg war, feierten sie auch wieder.

Wenn man dem Pabst begegnet, es sey wo es wolle, so kniet man nieder um den Segen zu empfangen. Er hat keinen Bart, sondern sieht aus wie die Paste die du kennst, nur daß er älter. Hier trägt Niemand einen Bart als die griechischen Priester und die Kapuziner.

Nun zu einer andern Scene. Neulich sahen wir, und ich kann wohl sagen, hörten wir 1000 Schweine in einem engen Bezirk abschlachten. Es geschieht dies den Winter über, alle Freitage, auf einem Platze, wo früher ein Minerventempel stand. Die Schweine werden zu Hunderten zwischen Stangen eingesperrt; auf ein gegebenes Zeichen springen Kerls hinein zu den Thieren, ergreifen sie, rammeln sich mit ihnen herum und stoßen ihnen unter der einen Vorderpfote ein rundes Eisen in den Leib, das sie, weil es oben eine Art Hacken hat, mit der flachen Hand in der Wunde leyernd herumdrehen bis das Thier todt ist.

[113] Das Lärmen der Menschen, das von dem Geschrei der Thiere überschrieen wird, die Händel, die dabei vorfallen, der Antheil der Zuschauer und noch allerlei Detail machen dieses Amazzamento zum sonderbarsten Spektakel. Es geschieht auf diese Weise, weil hier Alles Monopol ist, und die Regierung die Schweine aufkauft, schlachten läßt, und dann an die Fleischer austheilt.

Dann war ich auch in einer ersten Vorstellung einer Oper, wo das Parterre noch einen größern Lärm machte als die 1000 Schweine, davon will ich dir künftig das Detail erzählen. Alexander in Indien hat mir Langeweile gemacht. Dagegen war das Ballett, die Eroberung von Troja, recht schön. Wie viel hätte ich darum gegeben, dich und die Herder's an meine Seite zu bringen, wie würde Euch das große Pferd und die heraussteigenden Griechen, Hector's Schatten, die Flucht des Aeneas, die brennende Stadt und der Triumph der Griechen, ergötzt haben! Die Kleider sind sehr schön, die Dekorationen mäßig. Gestern sah ich in einem andern Theater die Locandiera von Goldoni. Da hier alle Rollen, wie du weißt, von Männern gespielt werden, machte ein römischer Bürger, der sonst seines Handwerks ein Färber ist, die Locandiera so schön, daß nichts zu wünschen übrig blieb. Auch die Tänzerinnen der großen Oper sind Männer, die allerliebst ihre Künste ausführen.

Ferner muß ich dir erzählen, daß ich zum Pastore[114] dell Arcadia bin ausgerufen worden, als ich heut in diese Gesellschaft kam (von der dir Herr Schmidt erzählen mag). Vergebens habe ich diese Ehre abzulehnen gesucht, weil ich mich nicht öffentlich bekennen will. Ich mußte mir gar schöne Sachen vorlesen lassen, und ich erhielt den Namen Megalio per causa della grandezza oder grandiosità delle mie opere, wie sich die Herren auszudrücken beliebten. Wenn ich das Sonnett, das zu meiner Ehre auch verlesen wurde, erhalte, so schicke ich dir's.

Für heute lebe wohl. Ich habe sehr gesudelt und viel zu schreiben, ahme meine Hand nicht nach.

Es ist kalt, und ich schließe meinen Brief, wie du mit den Zwillingen. Grüße Herder's und lies ihnen diesen Brief.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1787. An Friedrich Constantin von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-94F1-8