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An den Großherzog Carl August

[Concept.]

Ew. Königliche Hoheit

kommen gnädigst meiner Schuldigkeit zuvor, die ich eben abzutragen im Begriff stand. In der Zwischenzeit hat ich mich gar sehr gefreut, Höchst Dieselben in heiterer, gutes Andenken darbietender Gegend zu wissen; auch der nur flüchtige Gebrauch geprüfter heilsamer Wasser wird seine Wirkung nicht verfehlt haben.

Nach dem werthen Grafen Sternberg und seinen ernstlichen Anstalten fühl ich eine wahrhafte Sehnsucht; leider schrieb ich ihm lange nicht, denn ich habe mich bisher in gar wunderlichen, von der Natur entfernten Regionen aufzuhalten gehabt.

Vor allen Dingen aber habe von Rath Vogel zu melden, dessen Persönlichkeit mir und andern gar wohl gefällt. Er ist klar, offen, heiter, sich selbst deutlich und wird es dadurch auch bald andern. Sein Handwerk versteht er aus dem Grunde, seine Ansichten sind schnell und bestimmt, so auch seine Anordnungen; in seinem ganzen Thun und Lassen ist eine Art von [88] preußischer Entschiedenheit, aber keine Spur von Anmaßlichem, Affectirtem, viel weniger Zurückhaltendem und heimlich Sinnendem.

Ich habe ihn diese wenige Tage her mehrfältig prüfen können; er assistirte dem Verband meiner Halswunde, wobey mir sein Urtheil, Rath und Zeugniß sehr zur Beruhigung diente; auch würde sie sich schon geschlossen haben, wenn man es nicht für besser achtete, sie noch ein wenig offen zu halten.

Meine diätetischen Gebräuche hab ich ihm gleichfalls vorgelegt, da er denn mein Kreuzbrunnenmaaß schon auf die Hälfte reduzirt hat und mich nach und nach ganz davon entwöhnen möchte. Wir wollen sachte verfahren.

Übrigens leb ich der Hoffnung, daß Ew. Königlichen Hoheit Prüfung ihm gleichfalls zu Gunsten ausfallen werde.

Gar manches Capitel hab ich mit ihm durchgesprochen; besonders auch traut er sich in medicinischer Polizey etwas zu und erweist sich durchaus seinen Empfehlungen gemäß.

Darf ich nun noch erwähnen, daß ich in der gegenwärtigen weimarischen Einsamkeit durch Freundesbesuche bin erfreut worden. Mit Sulpiz Boisserée ward ein schöner Theil altniederdeutscher Kunstgeschichte durchgearbeitet. Sein mehrmaliger Aufenthalt in Paris ließ mich in die verschiedenen Epochen der dortigen Zustände hineinblicken, sowohl politischer als [89] künstlerischer Verhältnisse. Professor Rauch, von dort herkommend, erzählte das Allerneuste.

Nun hat sich Zelter bey mir eingefunden, da denn das Particulare der Musik und die daran sich knüpfenden Universalia zur Sprache kommen. Gestern hat er die Orgel gesehen und belobte die Veränderungen. Morgen werden wir die Bürgerschule besuchen, zur allgemeinen Schulstunde. Und so fahren wir fort im Genuß der friedlichen Tage zu verweilen, indessen Ew. Königliche Hoheit ein Bild des Krieges in Berg und Thälern hervorzaubern.

W. d. 12. Jul. 1826.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An den Großherzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9502-B