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An Christian Gottlob Voigt

[Concept.]

[Frankfurt, d. 17. Aug. 97.]

Die hiesige Stadt, mit ihrer Beweglichkeit und den Schauspielen verschiedener Art, die sich täglich erneuern, so wie die mannigfaltige Gesellschaft, geben eine gar gute und angenehme Unterhaltung, ein jeder hat zu erzählen wie es ihm in jenen gefährlichen und kritischen Tagen ergangen, wobey denn manche lustige [247] und abentheuerliche Geschichten vorkommen. Am liebsten aber höre ich diejenigen Personen sprechen die, ihrer Geschäfte und Verhältnisse wegen, viele der Hauptpersonen des gegenwärtigen Kriegsdramas kennen gelernt, auch besonders mit den Franzosen mancherley zu schaffen gehabt haben und das Betragen dieses sonderbaren Volkes, von mehr als einer Seite, kennen lernten. Einige Details und Resultate verdienen aufgezeichnet zu werden.

Der Franzos ist nicht einen Augenblick still, er geht, schwätzt, springt, pfeift, singt und macht durchaus einen solchen Lärm, daß man in einer Stadt und in einem Dorfe immer eine größere Anzahl zu sehen glaubt als sich darin befinden, an Statt daß der Österreicher still, ruhig und ohne Äußerung irgend einer Leidenschaft, gerade vor sich hinlebt. Wenn man ihre Sprache nicht versteht, werden sie unwillig, sie scheinen diese Forderung an die ganze Welt zu machen, sie erlauben sich alsdann manches um sich selbst ihre Bedürfnisse zu verschaffen; weiß man aber mit ihnen zu reden und sie zu behandeln, so zeigen sie sich gleich als bons enfans und setzen sehr selten Unart oder Brutalität fort, dagegen erzählt man von ihnen manche Erpressungsgeschichten unter allerley Vorwänden wovon verschiedene lustig genug sind. So sollen sie an einem Ort, wo Cavallerie gelegen, beym Abzuge verlangt haben, daß man ihnen den Mist bezahlen solle. Als man sich dessen geweigert, so setzten [248] sie so viel Wagen in Requisition als nöthig sey um diesen Mist nach Frankreich zu führen, da man sich denn natürlich entschloß lieber ihr erstes Verlangen zu befriedigen. An einigen andern Orten behauptet man: der abreisende General lasse sich jederzeit bestehlen, um wegen Ersatz des Verlustes noch zuletzt von dem Orte eine Auflage fordern zu können. Bey einer Mahlzeit sind ihre Forderungen so bestimmt und umständlich, daß sogar die Zahnstocher nicht vergessen werden. Besonders ist jetzt der gemeine Mann sehr auf's Geld begierig weil er keins erhält, ob er gleich genährt wird und er sucht daher auch von seiner Seite etwas mit Façon zu erpressen und zu er schleichen. So hält z.E. auf dem Wege nach den Bädern jede ausgestellte Post die Reisenden an, untersucht die Pässe und ersinnt alle erdenkliche Schwierigkeiten, die man durch ein kleines Trinkgeld gar leicht hebt, man kommt aber auch wenn man nur Zeit verlieren und sich mit ihnen herumdisputiren will endlich ohne Geld durch. Als Einquartirung in der Stadt haben sie sowohl das erste als zweyte Mal gutes Lob, dagegen waren ihre Requisitionen unendlich und oft lächerlich, da sie wie Kinder oder wahre Naturmenschen alles was sie sahen zu haben wünschten.

In den Canzleien ihrer Generäle wird die große Ordnung und Thätigkeit gerühmt, so auch der Gemeingeist ihrer Soldaten und die lebhafte Richtung aller nach Einem Zweck. Ihre Generale, ob gleich[249] meist junge Leute, sind ernsthaft und verschlossen, gebieterisch gegen ihre Untergebenen und in manchen Fällen heftig und grob gegen Landsleute und Fremde, sie haben den Duell für abgeschafft erklärt, weil eine Probe der Tapferkeit bey Leuten die so oft Gelegenheit hätten sie abzulegen auf eine solche Weise nicht nöthig sey. Zu Wiesbaden forderte ein Trierischer Officier einen französischen General heraus, dieser ließ ihn sogleich arretiren und über die Grenze bringen.

Aus diesen wenigen Zügen läßt sich doch gleich übersehen, daß in Armeen von dieser Art eine ganz eigene Energie und eine sonderbare Kraft wirken müsse und daß eine solche Nation in mehr als einem Sinne fürchterlich sey.

Die Stadt kann von Glück sagen daß sie nicht wieder in ihre Hände gekommen ist, weil sonst der Requisitionen ohngeachtet des Friedens kein Ende gewesen wäre. Die Dörfer in denen sie liegen werden alle ruinirt, jede Gemeinde ist verschuldet und in den Wochenblättern stehn mehrere, welche Capitalien suchen, dadurch ist auch die Theurung in der Stadt sehr groß. Ich werde ehestens eine Liste überschicken. Ein Hase z.B. kostet 2 Gulden und ist doch für dieses Geld nicht einmal zu haben.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Christian Gottlob Voigt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9518-C