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An Carl Friedrich Zelter

Ehe ich von Carlsbad abreise, welches dießmal früher als gewöhnlich geschieht, um meinen Weg wieder sogleich nach Hause zu nehmen, will Ich Ihnen, mein theurer Freund, für Ihren unterm 25. May an mich abgesendeten Brief zum allerschönsten Dank gesagt haben. Ich hatte wenig oder nichts von unsern guten Wolffs gehört; desto angenehmer war mir die Nachricht, daß es diesem talentlosen Ehpaar auch in Berlin gut gehe. Bis auf einen gewissen Grad ließ es sich wohl voraussehen; doch hängt es auf der Bühne nicht immer von dem Talent ab, sondern von gar viel andern Zufälligkeiten, und überhaupt muß man doch immer einen Schauspieler erst gewohnt seyn bis man seine Vorstellungen recht genießen und billig beurtheilen kann. Haben Sie vielen Dank, daß Sie sich dieser mir so werthen Personen treulich und freundlich angenommen.

So möge Ihnen denn auch auf irgend eine Weise belohnt werden, was Sie an der Pandora thun. Wenn ich den Antheil hätte voraus sehen können, den Sie an dieser Arbeit nehmen; so hätte ich den Gegenstand anders behandelt und ihm das Refractaire, was er jetzt für die Musik und für die Vorstellung [117] hat, zu benehmen gesucht. Nun ist es aber nicht anders. Fahren Sie fort, wie es Ihnen gemüthlich ist, und ich will sehen, ob ich an die Ausführung des zweyten Theils kommen kann. Ausgedacht und schematisiert ist alles. Allein die Gestalten selbst sind mir etwas in die Ferne getreten und ich verwundre mich wohl gar über die Titanischen Gestalten, wenn ich in den Fall komme, wie mir gestern geschah, etwas daraus vorzulesen.

Mögen Sie auf Ihrem Wege nach Schlesien alle harmonischen Geister begleiten und Ihr thätiges Ausharren durch geziemende Wirkungen belohnt werden: denn wahrhaftig, wenn man bedenkt, wie wenig die Welt Ihrem schönen und edlen Thun geantwortet hat, so darf man es wohl unziemlich nennen. Auf Ihrem gehofften Rückweg durch Böhmen finden Sie mich freylich nicht. Die vier letzten Monate, ja die fünf des Jahrs versprechen für Weimar sehr lebhaft und, wills Gott, glücklich zu seyn. Im August erwarten wir die Niederkunft der Hoheit; im September Ifflands, und im October Brizzi's Wiederkunft. Leider komme ich mir in allen diesen Fällen wie eine Doppelherme vor, von welcher die eine Maske dem Prometheus, die andere dem Epimetheus ähnlicht, und von welchen keiner, wegen des ewigen Vor und Nach, im Augenblick zum Lächeln kommen kann.

Carlsbad ist jetzt belebt genug. Für dießmal hat es für mich eine eigene Physiognomie gehabt. Weil[118] meine Frau hierherkam und die Equipage bey sich hatte, dadurch bin ich ins Freyere und Weitre gelangt, mehr als die letztern Jahre, und habe mich auch an der Gegend und an Ihren Inhalt wieder frisch ergetzt, weil ich sie mit mit frischen Personen, die über gar manches in ein billiges Erstaunen geriethen und sich sehr wohl gefielen, durchwandern konnte.

Himmel ist seit einigen Tagen hier und obgleich leidend, doch immer der alte; lustig, mittheilend, und durch sein Spiel auch die rohsten Instrumente verbessernd. Ich habe ihn immer zu wenig gehört und gesehen; und komme wegen seiner lustigen Lebensart nicht viel mit ihm zusammen; aber doch ist mir diese eingefallen, ob ich nicht die Maxime, Übersetzungen, Triebe oder wie Sie es selbst nennen wollen, wonach er sich bey seinen Compositionen lyrischer Gedichte richtet, oder von denen er geleitet wird, herausbringen könnte. Es scheint mir nicht unmöglich und glaube ziemlich auf dem Wege zu seyn; aber es geht mir doch zu viel ab, als daß ich damit so leicht fertig werden könnte. Mögen Sie mich gelegentlich darüber aufklären, so erzeigen Sie mir eine Liebe. Nun leben Sie recht wohl, und wenn Sie mir vor Ihrer Abreise von Berlin noch ein Wort sagen mögen, so geschähe es direct nach Weimar.

Carlsbad den 26. Juny 1811.

G. [119]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1811. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9521-5