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An Carl Ludwig von Knebel

Verzeihe, liebster Freund, wenn ich so lange in Deiner Schuld geblieben. Ich bin in eine wunderliche Arbeit gerathen, und weil sie vom Fleck geht, so habe ich sie nicht unterbrechen wollen: denn meistens geräth so etwas ins Stocken und wird nicht so leicht wieder aufgenommen.

Zuvörderst also recht vielen Dank für dein liebes Frühlingsgedicht. Bald wirst du in deinem Garten beneidensweth seyn, und für deine Wintergeduld [39] genugsam belohnt werden. Seit dem standhaften Prinzen pausirt unser Theater einigermaßen, wie es nach solchen Anstrengungen immer zu gehen pflegt. Die Rollen deines Saul werden ausgeschrieben, und wegen des dritten Acts ist mit dem Capellmeister Abrede genommen. Er wird die lyrischen Stellen, indem sie Wolff recitirt, hinter der Coulisse mit dem Pianoforte begleiten; dieß scheint uns in jedem Sinne das Beste.

Die Kaazischen Zeichnungen sollen diese Woche an unsere liebe Prinzeß abgehen. Du wirst ja wohl so freundlich, sie anzumelden.

Die musicalischen Unterhaltungen wachsen täglich bey uns. Auf dem Theater haben wir die vier Jahreszeiten von Haydn als Oratorium gehört. Es sind sehr schöne Details drin, wenn nur das Ganze des Textes nicht so unendlich absurd wäre. Ich schicke dir diesen Gräuel, damit du den Componisten bedauerst, der auf ein solches Segeltuch seine Stickerey hat anwenden müssen.

Eine sehr angenehme Erscheinung ist mir von Petersburg geworden. Ein junger Mann, Namens Ouvaroff, Kaiserlicher Cammerjunker, und Schwiegersohn dedicirtes Memoire übersendet, welches Vorschläge zu einer asiatischen Societät enthält, welche Sprachen und Literatur sämmtlicher alten und neuen orientalischen [40] Völker zu unsrer Kenntniß fördern soll. Es ist mit sehr großer Sachkenntniß geschrieben und zeigt von schönen Ansichten und Einsichten. Unser kleiner Klaproth, dessen du mich wohl noch erinnerst, kommt dabey wegen seiner chinesischen Kenntnisse zu Ehren. Der Verfasser ist erst 25 Jahre alt und scheint bey seinem lebhaften Streben und seinen günstigen äußern Verhältnissen wohl erwarten zu können, daß man ihn an die Spitze einer solchen Anstalt setze; und da sich in Wien, ja überall in Deutschland eine gleiche Neigung regt, so kann uns auf diesem Wege wohl doppelt ersetzt werden, was wir von Seiten der Engländer her entbehren müssen.

Daß die von Ihrer Maj. der Kaiserin von Östreich mir zugedachte Dose angekommen, darf ich nicht vergessen Dir zu melden. Sie ist so reich als hübsch und macht mir viel Vergnügen. Habe ich schon des Versuchs über die Regierung der Ostgothen von Sartorius erwähnt? Er ist dir gewiß schon in die Hände gekommen und verdient gelesen und studirt zu werden. Die Ansichten sind groß und rein, so wie die Behandlung und der Styl musterhaft. Die Beweisstellen sind ans Ende des Buchs in Noten zusammengebracht, wodurch denn das Ganze so gründlich wird, als die Schrift selbst lesbar ist. nun will ich aber schließen, weil die Boten mich drängen, und in Hoffnung dich bald wieder zu sehen, das Beste wünschen.

[41] Schreibe mir doch wie es deinem Knaben ergeht. Wegen dem Dictionnaire historique nächstens.

Weimar den 27. Februar 1811.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1811. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9528-8