36/125.

An Johann Friedrich Rochlitz

Ew. Wohlgeboren

haben durch Ihr werthes Schreiben mir Hoffnung und Wunsch erfüllt, denn da ich selbst nicht sonderlich mehr mobil bin, so kann mir nichts erfreulicher seyn als wenn Freunde, deren Denkart und Besinnung ich kenne, von ihren Reisebemerkungen, Urtheilen und Gefühlen vertrauliche Mittheilung schenken, und so hab ich denn auch mit großem Vergnügen gesehen, daß Sie genug Gutes und Löbliches von Wien und den dortigen Zuständen zu sagen wissen.

Auch ich war dieses Jahr in Böhmen, fand meine alten Freunde und Neigungen wieder, gewann neue dazu und fühlte mich in diesem Kreise sehr behaglich; auch nahm ich Theil an dem neueinzurichtenden Prager Museum und denke das nächste Jahr an die Fortsetzung einer längst gewohnten Lebensweise.

Betrübt haben mich deswegen Ihre Worte: »Dazu nun das Volk, ich meine die große Masse, in seinem Wohlstande (Böhmen abgerechnet, das es nicht besser haben will, als es hat, und es besser zu haben schwerlich werth ist)«. Ich weiß recht gut, daß dort nicht alles ist wie es seyn sollte; aber Ihre Worte scheinen mir doch zu hart und zu hauptstädtisch; ich darf Sie daher wohl bitten, sich näher zu erklären und[169] mir dadurch Anlaß zu geben, bey meiner Rückkehr in jene Gegenden besser aufzumerken und, da ich meine Neigung nicht wohl aufgeben kann, doch ohne allzu entschiedenes Vorurtheil meine Liebschaften prüfen zu können.

Von Paulus und Johannes wünschte doch auch nähere Schilderung.

Möge Ihnen alles Gute gegönnt und verliehen seyn! Das erste säuberliche Exemplar, das mir vom Buchbinder zukommt, erhalten Sie sogleich, ich darf es Ihrer herkömmlichen, mir so werthen Theilnahme nicht erst umständlich empfehlen.

Es ist mir in dieser Zeit gar vieles Gute begegnet; Herr Dr. von Henning in Berlin hat Vorlesungen gehalten über meine Farbenlehre, ich lege seine Einleitung bey, die wohl für jeden gebildeten Geist verständlich und nicht ohne Interesse seyn möchte.

In Hoffnung baldigen Erwiderns wünsche Ihrer fortwährenden Theilnahme immer versichert zu bleiben.

treulichst

Weimar den 20. September 1822.

Goethe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1822. An Johann Friedrich Rochlitz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9537-6