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An August von Goethe

[Concept.]

Da du dergleichen Worte zu schätzen weißt, so melde ich dir daß die moralische Weltordnung [120] nach an mir verübten unverantwortlichen Systolen mich auf einmal, erhoffter aber nicht erwarteter Weise, begünstigt hat, dadurch daß sie mich die Auflösung des Räthsels der entoptischen Farben, die mich so lange Zeit beschäftigt, seit zehn Wochen aber beunruhigt und geäfft haben, endlich finden ließ, und zwar auf die seltsame Weise, so daß in den letzten Augenblicken noch immer etwas Zweifelhaftes übrig blieb. Ich hielt aber nicht einen Aal bey'm Schwanze, sondern einen Drachen am Kragen, und würgte ihn so lange, bis er sich ergeben mußte. Nun ist die Auflösung des Räthsels so unendlich einfach, daß man sich selbst absurd findet, es nicht gleich erraten zu haben. Man tröstet sich daß es eben in diesen irdischen Dingen immer dasselbe bleibt.

Alles was hier von uns abhängt, steht gut, schön und ordentlich, es hat sich Dauer zu versprechen; wenn das Element worauf wir wirken breiter wird, mag sich zeigen was wir angelegt und für was wir ge sorgt haben.

Mir ist mein hiesiger Aufenthalt ganz unschätzbar, und meine Beschäftigung recht unterhaltend, der Setzer rückt mir auf die Stube, das hätte vor Jahren geschehen sollen, so wären wir weiter. Nun geht es aber rasch, denn ich habe zwey Lichter jedes an zwey Enden angezündet. Leuchtet's nicht, so tröpfelt's doch.

Da du die Aushängebogen die ich dir wohl schicken könnte, schwerlich lesen würdest, so schicke ich[121] dir ein brauchbares weißes Blättchen, welches du vielleicht bequemlich beherzigen würdest, wenn deine Gelegenheit nicht gar zu unbequem zu seyn Gewohnheit hätte.

Der Brief den ich dir hier schicke, nebst Quittung, sey dir anempfohlen, daß du's freundlich abthust. Das Verhältniß war nicht rein, wie ich längst fühlte, danke Gott daß du es los wirst, und laß dich das Einfalle-Bier nicht verdrießen.

Mit deinem neuen Zustande hältst du dich umsichtig, das braucht Polonius nicht zu sagen. Ich thue das meinige um für die nächste Zeit nicht ungeschickt zu handeln.

Der Welt entläuft man übrigens nicht. Malkolmi ist hier, sehr zufrieden für den leidlichen Preis eine angenehme Wohnung zu haben. Haide und Graff, die ihn hierher begleiten, waren bey mir, beinahe kann ich sagen, so etwas Sonderbares habe ich nicht erlebt, denn ich sahe erst ohne mich zu rühmen die Riesenkräfte in Bramanischer Duldungs-Beharrlichkeit, die durch beynahe dreyßig Jahre nöthig waren um aus nichts Etwas zu machen. Und das Etwas war, bey allen seinen späteren Mängeln, doch so hübsch, daß ich mich ungern von ihm abwendete und nur mit Bedauern ausrief

Rentre dans le neant dont je t'ai fait sortir.

Haides Vortrag und Erzählung, obgleich vorsichtig und klug genug, hat mich in den Pfuhl des Verderbens [122] hinein sehen lassen, in welchem zunächst alle verzweifeln werden. Wir haben das Getränk zuletzt wenigstens in der Essiggährung erhalten, nun aber tritt die Fäulniß mit Macht ein, deren Eilfertigkeit man kennt.

[Jena] 5. Juni 1817.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-956D-E